Von Matthias Bosenick (16.03.2016) / Auch erschienen auf Kult-Tour | Der Stadtblog
„Spotlight“ ist ein Märchen: über Loyalität und Leidenschaft, über Empathie und für die Sache Einstehen, über unabhängigen Journalismus und die Wahrheit, über stürzende Systeme und Gerechtigkeit. Das Erstaunlichste daran ist: Alles an diesem Film ist (offenbar) wahr! Das lässt von einer guten Welt träumen. Außerdem ist dieser Film fein erzählt, dezent gefilmt und musikalisch angemessen unterlegt, also rundum eine Perle. Auch das ist heutzutage fast schon ein Märchen.
Beinahe kann man „Spotlight“ als historischen Film betrachten, und das, obwohl er schon in diesem Jahrtausend spielt, 2001 und 2002 nämlich. Aber so wie damals ist es heute in vielen Bereichen schon nicht mehr. Allein die Rolle einer lokalen Tageszeitung hat sich massiv verändert und die Motivation ihrer Mitarbeiter auch. „Spotlight“ ist ein Rechercheteam des „Boston Globe“, das dafür bezahlt wird, sich monatelang an einem Thema festzubeißen, bis dieses überhaupt veröffentlicht wird. Das ist heute unvorstellbar. So viel Geld geben Verlage nicht mehr aus, wenn sie ihre Tageszeitungen auch von Unterbezahlten aus Pressemitteilungen zusammenkopieren lassen können. Dieses Team untersteht einem neuen Redaktionsleiter, dem es nicht darum geht, sein Ego zu polieren, sondern der das Team in allen Belangen fördert und sich hinter es stellt. „Spotlight“ besteht nicht aus Selbstdarstellern, sondern aus leidenschaftlichen Reportern, die für die gerechte Sache ihren Alltag und sich selbst zurückstellen und die auch in der Lage sind, sich selbst und ihre Gegner differenziert zu betrachten. Es geht um Recherche, die nicht allein aus logischen Schlüssen und akribischer Detektivarbeit besteht, sondern auch daraus, als Mensch anderen Menschen zu begegnen und sie als Mitstreiter für die Sache zu gewinnen sowie gegen ein repressives System zu arbeiten, von dem eigentlich sogar fast alle abhängen.
„Die Sache“ ist in diesem Fall Kindesmissbrauch durch Schutzbefohlene, in Boston die Katholische Kirche, die dies auch mit Hilfe von Anwälten jahrzehntelang vertuscht, trotz einiger offenkundiger Hinweise. Letztlich könnte man dieses System als Platzhalter auffassen, denn schließlich sind Arbeiter ausbeutende Konzerne oder Bürger unterdrückende Regierungen gleichermaßen bekämpfenswerte Systeme, aber war es nun mal in der Realität eben dieser Antagonist. Es ist wie bei „Exorzist“ oder „Der weiße Hai“, dass der Gegenspieler stellvertretend für die Aufgabe der Protagonisten steht. Und diese Protagonisten stellt der Film empathisch dar.
Die Dramaturgie von „Spotlight“ folgt nicht dem klassischen Dreiakter, es fehlt auch das retardierende Moment. Das würde hier auch gar nicht passen. Vielmehr geht es flugs voran und stetig bergan, mit vielen geschickten Dialogen, lediglich manche latent bremsenden Täler sorgen für mehr Schwung in der Handlung. Diese Sequenzen leben von unaufdringlicher Musik, die über einem bunten Tableau aus Eindrücken liegt, die durch geschickt platzierte Impressionen wiederum die Handlung vorantreiben. Auch verläuft sich der Film nicht nach skandinavischer Art in den Privatgeschichten der Reporter, das wäre hier komplett überflüssig. Ebenso fehlt am Platze wären Gewalt und Action; da sieht man mal, wie geprägt man ist, dass man überall drohende Attentate wittert, weil man solches aus anderen Filmen gewohnt ist. Viele Kamerabesonderheiten findet man überdies nicht, einzig die langsamen Zooms tragen zu Sogwirkung der Geschichte bei. Die Schauspieler sind angenehm gewählt, nur mit Michael Keaton muss man sich immer noch von seinem Batmankostüm losgelöst vertraut machen.
Tja, ein Märchen, ein Paradies, in dem „Spotlight“ arbeitet. Nicht nur in paradiesischen Bedingungen, sondern auch mit paradiesischem Einsatz. Solchen Journalismus hat es mal gegeben, und das ist erst 15 Jahre her. Wer weiß, wahrscheinlich liegt es an solchen Systemen, dass dieser inzwischen von substanzlosen Modellen verdrängt ist.