Von Matthias Bosenick (20.11.2020)
Von Prog über Kneipenrock, Swing und Jazz bis Funk und Afrobeat: Mit einem beachtlichen Genrespektrum überrascht der Gitarrist und Labelbetreiber Rens Nieuwland. Ausgehend von seiner vor 45 Jahren noch in den Niederlanden betriebenen Progband Scope, erweiterte der Musiker ab seinem Umzug nach Wien Ende der Siebziger sein musikalisches Betätigungsfeld in unerwartete Richtungen, reduzierte gleichzeitig aber seinen Nachnamen um das I und das U. Ein kleiner Überblick über seine Alben und das Oeuvre seines Labels Jive Music:
Rens Newland – Fonk Is My Fate – Jive Music 1999
Der Titel ist Programm: Gruppiert um sich abwechselnde zwei Bassisten, zwei Schlagzeuger und einen Flötisten generiert Newland einen frickeligen Jazzfunk, garniert mit Afrobeats, Jazzrock, Flamenco, Slapbass und gesprochenen Passagen. Hier klingt das Progressive am deutlichsten an, wenn die Tracks rhythmisch herausfordern, die Gitarren wohlige Soli vom Stapel lassen und die Stücke vor lauter Gefrickel keine Ende brauchen. Die Texte ließ sich Newland von dem kanadischen Sänger Lionel Lodge verfassen und einsprechen, die afrikanischen Anteile streuten Moses Afaenyi und Mani Obeya ein. In der Mitte, in „L‘Étranger“, wähnt man sich nachts in einer Jazzbar nach der Sperrstunde, wenn nur noch die Verlorenen an der Theke lehnen. Einige Parts hätten so auch Anfang der Achtziger bei Hörspielen des Europa-Labels Verwendung gefunden haben können. So viele Stimmungen auf so engem Raum, so viele abenteuerliche Richtungswechsel!
Lionel Lodge & Rens Newland – The Rock Quartet Live In Vienna (The Covers CD) – Scoop Records 2006
Und ab in den Irish Pub: Dieses Album schmeckt nach Guinness. Mit seinem kanadischen Freund und Sänger Lionel Lodge transferiert Newland bekannte Hits aus der Rockhistorie in einen eigenen Sound, und zwar einen, den man in diesen Songs nicht erwartet hätte. Das mag vorrangig daran liegen, dass den Part des Basses hier eine Tuba übernimmt, gespielt von Markus Weissenbach. Der Vierte im Bunde ist Schlagzeuger Georg Beck. Zusammen lassen sie die Hits in einem eher akustischen Gewand erklingen, der zweite Punkt, der aus dem Stücken das Unbekannte kitzelt. Der große Unterschied zu einer bierseligen Pubcombo ist aber, dass alle vier Musiker ihre Instrumente hörbar grandios beherrschen. Sie schrammeln die Songs nicht einfach zum Mitgrölen herunter, sondern rearrangieren sie, erweitern sie um Soli, verändern Tempo oder Stimmung, intonieren die Texte anders, bringen eine komplett eigene Energie ein und behandeln selbst den ausgenudeltsten Schlager mit allergrößter Ernsthaftigkeit. Im Reigen solcher Kneipenklassiker wie „Ring Of Fire“ von Johnny Cash, „Proud Mary“ von CCR, das hier mitreißend vergniedelte „Ticket To Ride“ von den Beatles oder „Knocking On Heaven‘s Door“ von Bob Dylan erstaunen eher ungewöhnliche Songs wie das hier epische „Losing My Religion“ von R.E.M. (nicht „Loosing“, tse!) oder das in den unsäglichen Radiohit „Save Tonight“ von Eagle Eye Cherry eingewebte „The Passenger“ von Iggy Pop. Ein Riesenvergnügen für den Hörer (live mitgeschnitten laut Info bei einem Wiener Heurigen, übrigens, nicht im Pub, aber das funktioniert eben überall gut) und eine große Ehre für alle Gecoverten. Diese Tuba aber auch!
Ostinato – Slowwalker – Jive Music 1985/2017
Die Entstehungszeit hört man deutlich heraus: Dieser instrumentale Fusion-Jazzfunk trägt die Achtziger in sich; das Schlagzeug klingt derbe nach E-Drums und einige Bläser nach Synthesizer. Und das, obwohl an diesem Album haufenweise Bläser beteiligt waren, ein Trompeter und zwei Saxophonisten nämlich, und dennoch wollte man auf die damaligen Neuerungen der Technik nicht verzichten und setzte eben auch Keyboards ein. So garnierten Ostinato ihren ebenfalls zeitgenössischen verfunkten und sehr verfrickelten Jazzrock mit Elementen aus dem Synthiepop, aber selbst in den balladesken Stücken nicht im Hitparadenstil, sondern eher wie die Golden Palominos damals, als indem sie die Sounds zwar verwendeten, sie aber in ihre komplexen Arrangements einbanden. Die Ostinato hier auch mal mit karibischen Rhythmen unterfütterten oder in einen an Maceo Parker erinnernden freidrehenden Funk driften lassen. Die Köpfe dieser Band sind hier Newland und Schlagzeuger Tommy Böröcz, auf diesem zweiten Album wechselte die Besetzung einmal durch. Diese Wiederveröffentlichung mit einem Bonus-Track erschien anlässlich der Produktion eines vierten Albums 2017, nach 30 Jahren Pause. Trotz der typischen Sounds überwiegend erstaunlich zeitlose Kompositionen.
Roland Stonek – Waltz For Jonathan – Jive Music 2020
Eines der wohl jüngsten Produkte auf Jive Music klingt, als wäre es sogar viel älter als das Label, und stammt von Roland Stonek, der die Tradition der Jazz-Funk-Fusion Newlands im weitesten Sinne aufgreift und mitnichten Walzer daraus macht, sondern in Richtung Swing drängt. Stonek begleitete diverse österreichische Szenegrößen im Studio und auf Bühnen und stellt sich hier mit seinem Solo-Debüt vor, für das er eine Trio-Formation wählte, die er um eine Bläsersektion erweiterte. Dieses Trio nun besteht aus Gitarre, Schlagzeug und Orgel und setzt damit schon mal akustische Ausrufezeichen, und wenn dazu noch die vier Bläser tirilieren und tröten, wird der Sound so richtig fett. Stoneks erklärtes Vorbild ist Jazzgitarrist Wes Montgomery, in dessen Tradition er dieses Album sieht. Das Septett spielt behutsam, aber nachdrücklich; es passiert eine Menge in den instrumentalen Tracks, und doch wirken sie nicht überfrachtet, vielmehr erfreut man sich an der Ideenvielfalt, die Gitarre, Schlagzeug, Orgel (Hammond B3!) und Bläser einander gewähren. Die Mucke groovt, man mag den Hardbop herausahnen, sich an Fernsehunterhaltung vergangener Zeiten erinnert fühlen und grundsätzlich große Freude an diesem aus der Zeit gefallenen Album finden. Highlight ist das aus einem Siebziger-Krimisoundtrack geklaute Stück mit dem Aha-Effekt-Titel „The Big Band Theory“. Und bei Jonathan handelt es sich offenbar um Stoneks Sohn.
The Organ Champs – Turn It On – Jive Music 2020
In eine vergleichbare musikalische Kerbe schlagen The Organ Champs, vier etablierte österreichische Jazzmusiker, die ebenfalls die Hammond-B3-Orgel und immerhin einen Bläser zu Gitarre und Schlagzeug gesellen. Auch dieses Quartett bevorzugt Hardbop, Swing und Funk, klingt aber aufgrund reduzierterer Bläserzahl weniger fett, lässt dafür eben der Orgel noch mehr Raum. Auch „Turn It On“ könnte schon einige Jahrzehnte mehr auf dem Buckel haben, doch an dem leicht nervösen Groove hört man die Neuzeit heraus. Bemerkenswert, wenn die Instrumente mal die Melodie vorgeben oder ein Solo intonieren, und dann unerwartet einen Schritt zurücktreten, um für andere als reduzierte Akzentsetzer zu agieren. So wirken die Stücke demokratisch, jeder Musiker bekommt die Bühne, die er ausfüllen kann, und bietet sie den anderen gleichermaßen. Die Champs können Chill-Out so gut wie das Durcheinander, aber am besten den beschwingten Kopfnicker-Groove. Eher Rotwein als rauchiger Whisky, eher gute Laune als Exaltiertheit.
Rens Newland – Tribe Trio Tracks – Jive Music 2020
Das letzte Wort hat der Labelchef: Die „Tribe Trio Tracks“ widmet Newland seinen Kindern und Enkeln, jedes der zwölf Stücke ist einem von ihnen gewidmet. Da kommt was zusammen! Und das Trio ergibt sich daraus, dass sich der Gitarrist noch ganz klassisch einen Schlagzeuger und einen Bassisten holt, um seinen Stammbaum zu vertonen. Diese Tracks stellen eine reduzierte Neuaufnahme des vorherigen Albums „Family Trax“ dar, umgesetzt mit seinen Begleitern, die mit ihm schon vor über 20 Jahren den „Fonk“ hatten, nämlich Willi Langer und Oliver Gattringer; da schließt sich der Kreis. Dieser Jazz trägt wieder die Spuren des Progressiven, wie man es von Newland kennt. In den Tracks überträgt der Komponist die tragenden Charakterzüge dieser zwölf Familienmitglieder in instrumentale Musik; da sprechen die Titel eine klare Sprache: „Wild Coolness“ ist mit verzerrter Gitarre und Scratches seinem Enkel Youri gewidmet, „Sweet Litle Devil“ seiner rockenden Enkelin Rivka, sein Sohn René ist der frickelig funkende „Creative Guy“. So vielfältig wie die Personen sind entsprechend auch die Stücke, da springt Newland in den Genres und offenbart seine Souveränität auf allen Feldern, nicht nur in Jazz und Funk, auch im Swing, im Rocksong, in der Popballade. Für den Vergleich müsste man natürlich das Originalalbum auch unbedingt hören, doch funktionieren die „Tribe Trio Tracks“ auch für sich ausgezeichnet.
jivemusic.at