Von Matthias Bosenick (08.06.2022)
Drei sehr unterschiedliche neue Alben präsentiert Bert Olke auf seinen beiden Labels Klangwirkstoff Records und Separated Beats: Einmal das Best-Of-Neunziger-Electro-Retro-Querbeet-Miniaturen-Album „Soul Kitchen“ von Tobi Morare, dann das dubbig-tanzbare Planeten-Frequenz-Album „“Roots Of Deliverance“ von Rainer Hartmann unter seinem neuen Alias Oriom sowie Olke selbst mit seinem als B. Ashra veröffentlichten „Fluffy Spirals“ zwischen Ambient und Psytrance.
B. Ashra – Fluffy Spirals (Separated Beats)
Hier ist der Titel sowas von Programm: Die Musik auf „Fluffy Spirals“ klingt genau so. Labelchef Bert Olke lotet auf diesem Album unter seinem Alias B. Ashra sämtliche Tiefen des Ambient aus und erweitert sie um diverse elektronische Spielarten wie Downbeat-Techno, Trance, Chillout, Avantgarde. Wichtigster Baustein dieser elf langen Tracks ist die Wiederholung: Sequenzen, Effekte, Melodiefragmente laufen im Loop, wechseln sich ab und bedecken die Atmosphären, Sounds und gelegentlichen Beats. Auf diese Weise kann einfach kein Pop entstehen, obschon manche Elemente sich auch gut in einem Synthiepopsong machen würden. Doch so wollen die Tracks einfach nicht sein, nicht gefällig und ohne Aufwand beim Bügeln konsumierbar. Man darf sich gern in ihnen fallen lassen, man darf sich zu einigen sogar in Trance tanzen, man darf auch genau hinhören und die Strukturen mit den besonderen Effekten begreifen, aber als schlichte Tapete eignen sie sich gottlob nicht.
Wie lang kann man etwa eine Zwei-Ton-Sequenz ertragen, ohne dass sie langweilig wird? Sehr: Wenn Olke Drumherum mit gesampelten Gitarren, rückwärts gespielten Elementen, jazzy Schlagzeug und unerwarteten Hintergrundsounds spannend hält, muss man sich schon darauf konzentrieren, um überhaupt festzustellen, dass es sich bei der Sequenz tatsächlich um nur zwei Töne handelt. Wie beatlastig darf Ambient sein, ohne seine Fluffykeit zu verlieren? Sehr: In Goa und Psytrance sind Beats sogar erforderlich, sie treiben den zu Hypnotisierenden voran, vertiefen im Tanz das Wegtreten. Wie energetisch, wie experimentell, wie harsch darf Ambient sein, um noch in diese Schublade zu passen? Sehr: Olke hat mehr als nur ein Händchen dafür, das Protokoll einzuhalten und dennoch dem geneigten Hörer subliminal bis offenkundig die vertrauten Grenzen zu versetzen.
Es gibt eine Sache, auf die Olke hier verzichtet, die man andernorts durchaus von ihm aber kennt: Er generiert seine „Fluffy Spirals“ nicht auf Grundlage von esoterischen Ethnosounds und atmosphärischen Kathedralen, sondern bleibt vielmehr im repetetiven Trackmodus. Seine Sequenzen sind nicht konkret, also etwa der Natur nachempfunden oder auf textlichen Inhalten basierend. Olke bleibt im Synthetischen, und darin bettet er nicht nur das Gebettete ein, sondern auch das Gehottete. Ein langes und vielseitiges Album voller lockerer Spiralen.
Tobi Morare – Soul Kitchen (Separated Beats)
Also, das ist ja mal eine Wundertüte: „Soul Kitchen“ klingt wie ein Best-Of der elektronisch basierten Indie-Hit-Genres der Neunziger, ein Retro-Schatz für Leute, denen das Jahrzehnt einfach mal viel zu früh endete. Tobi Morare beherrscht alles: Bigbeat, Hip Hop, Trip Hop, Jazz Hop, Lounge, Breakbeat, und er beherrscht all dies, als wäre er damals Teil der Sache gewesen, besser: Teil sämtlicher Sachen. In seinen elf gut zweiminütigen Miniaturen zitiert er das Beste aus der Zeit wie jemand, der dabei war und sich noch besser erinnern kann als die Clubber von damals.
Retro ist ja immer schwierig, weil es all das ja schon gibt. Was Morare hier aber abliefert, ist ein Album, das es in der Zusammenstellung in den Neunzigern nicht gab, weil er sich bei allen bedient, die selbst nur ihre Nische besetzten. Sein „Soul Kitchen“ ist also vielmehr eine Compilation als eine konkrete Genrekopie. Auch wenn man einzelne Elemente zu kennen meint: „Hey – Ho“-Chöre von Naughty By Nature, funky Chillout-Vibes von „Café del mar“, den Basslauf von The Chemical Brothers, den Syntheffekt von Daft Punk, den gebrochenen Rhythmus von Music Instructor, den bekifften Beat von Cypress Hill, die Sample-Loops vom Wu Tang Clan, die verschleppten Bläser von Portishead, die Syntheffekte von Smoke City, um nur einige wenige zu nennen.
Morare, über den das Internet übrigens nicht sehr viel preisgibt, macht sich all dies zu eigen und erstellt Tracks im Sinne der Sache, nur ohne dabei konkrete Clubhits abzuwerfen: Seine Stücke sind Erinnerungsstützen, die wohl ausgefeilt in einem neuen Kontext einen Mordsspaß machen; in einer Kneipe wären sie eine helle Hintergrundfreude, für den Club indes sind die zu skizzenhaft, sie ergeben keine neuen Hits, und das sollen sie ja auch nicht. Ein Knaller voller Überraschungen ist „Soul Kitchen“ in jedem Fall.
Oriom – Roots Of Deliverance (Klangwirkstoff Records)
Mit seinem Corona-Lockdown-Alias Oriom macht Rainer Hartmann alias Rainer von Vielen mächtig Dampf: „Roots Of Deliverance“ ist schon das zweite Album unter diesem Moniker. Ganz im Sinne des Klangwirkstoff-Labels basieren seine neuen Tracks auf der Kosmischen Oktave, hier auf den Frequenzen von Himmelskörpern, nur dass Hartmann diese Grundlagen nicht für die üblichen Tranceflächen nutzt, sondern für die dubbige Tanzfläche.
So viel Dampf liegt Hans-Cousto-Musik nur selten zugrunde: Hartmann lässt die Bässe boomen, egal, ob der Grundrhythmus im dubbigen Offbeat oder in straighten Techno liegt. Hier geht die Party, auch wenn sie mal nur so im Downbeat geht, aber Party ist es, gute Laune, Fröhlichkeit, gottlob nicht so plakativ wie auf den Balearen oder sonstwo, wo man viel merkwürdiges Zeug konsumiert. Das ganze Album hat dennoch eine positive Ausstrahlung, und vermutlich ist es genau das, was man in diesen trüben Zeiten braucht: Musik, die einen auf die Beine bringt.
Was hier natürlich nicht fehlt, ist Hartmanns Signatur-Stimme: Den Kehlkopf- und den Obertongesang arbeitet er in die Elektro-Tracks ein, aber nicht dominant, sondern zweckdienlich. Seine Stücke sind vielschichtig und abwechslungsreich, er lässt die Intensität an- und abschwellen, bedient sich bei seiner Sample-Datenbank von Ethno-Gesängen über exotischen Instrumenten, Synthieeffekten aus Electro und Techno und dezenter Percussion bis Gitarren und lässt seinen Sounds auch Raum für des Dubbes charakteristisches Echo. Kann man nicht anders sagen: Mit „Roots Of Deliverance“ liefert Hartmann geil ab. Das knallt! Und im Herbst sogar auf Vinyl.