Von Matthias Bosenick (27.06.2024)
Einen bunten Strauß sehr unterschiedlicher Musikstile bietet Rens Newland fast neu auf seinem Label Jive Music an: „Keys To Peace“ von Myroslav Levytsky ist neoklassischer Piano-Ambient, „The Miles Mode“ von Ostinato ist live eingespielter Funk-Jazz-Rock, „Susmogus“ vom Joschi Seeberger Gypsy Swingtet ist Oldschool-Swing und „Singles, Grooves & Memories“ ist ein Überblick über 40 Jahre Jazz-Rock, Funk und Fusion vom Labelchef selbst.
Myroslav Levytsky feat. Rens Newland – Keys To Peace (2023)
Das bekommt Myroslav Levytsky ausnehmend gut hin, sein Piano zu spielen und dabei gleichzeitig entspannend, packend und lebendig zu sein. Denn mehr als sein Piano bekommt man auf „Keys To Peace“ nicht zu hören. Wer dazu Etiketten sucht, ist vermutlich als erstes bei Klassik angekommen und blickt nochmal schnell zum Jazz rüber, und ja, das trifft genau so zu. Levytsky trifft die tiefen warmen Töne, mit denen er seine dezent melancholischen Melodien unterfüttert, und generiert so einnehmende, wohlige, beruhigende Tracks. Er spielt, als fiele es ihm leicht, federleicht, als flögen ihm die Melodien und Fingerläufe nur so zu, als sei es das Einfachste auf der Welt, diese wunderschöne Musik aus dem Jackett zu schütteln. Den Jazz baut der Ukrainer dabei seltener ein als die Neoklassik, seine Melodien sind einem beim ersten Hören selbstredend nicht bekannt, aber er komponiert trotz vereinzelter Halbtöne nicht auf Sperrigkeit, der Zugang fällt sehr leicht, und gleichzeitig wirken seine Stücke nicht einfach oder billig. Zumal er sein Instrument mit getretenem Pedal spielt, der Hall schafft Räume, in denen man sich gern aufhält. Und trotz sich leicht wiederholender Sequenzen sind die Kompositionen nicht mit denen von Minimalisten wie Philip Glass vergleichbar, weil abwechslungsreicher und anders intendiert.
So ganz allein ist Levytsky nicht zu hören, bei vier Stücken springt Labelchef Rens Newland mit seiner Gitarre hinzu. Die beiden ergänzen sich überaus harmonisch, Newland klingt etwa in „Sense Of Strangeness“ fast nach einem Mark Knopfler, der mit dem Pianisten den Score für ein Filmdrama erstellt. Für einige Stücke sicherte sich Levytsky zusätzlich die Finger ausgewählter Produzenten (Magic Moreno, Daniel Robert Ford, Alan Flexa, Tim Douglas Dolbear, Heikki Savolainen und Tonio Ruch), die von seinen Tracks Remixe anfertigten – klingt nach Dancefloor, ist aber so nicht gemeint, sondern nach anderer Abmischung, was in dem Sujet für Unerfahrene indes wenig Auswirkungen zu haben scheint. Manches hat mehr Wucht, manches ironischerweise weniger Klavier, ansonsten fügt sich alles zu einem homogenen Album zusammen.
Newland und der Ukrainer Мирослав Левицький, Gründer und Leiter der Jazz-Rock-Band Brothers Blues (Брати Блюзу), arbeiten seit 2001 immer wieder zusammen. Das vorliegende Album entstand trotz des Krieges von Putin gegen die Ukraine in Wien, der Titel ist daher nicht willkürlich gewählt. Bedrückender Hintergrund für ein wunderschönes Stück Musik.
Ostinato – The Miles Mode (Live) (2023)
Funk ist so eine typische Live-Musikrichtung, das weiß etwa Maceo Parker recht gut, dessen Alben mehrheitlich vor Publikum aufgenommen wurden. Dieses Setting passt auch zu Ostinato, der österreichischen Jazzrock-Fusion-Band, die in zwei Jahren ihren 40. Geburtstag feiert, eine kleine Lücke in der Biographie einmal ausgeklammert. Im Januar 2023 gab sich das Ensemble in Wien auf der Bühne vom Porgy & Bess die Ehre, der Gig ist nun nachzuhören auf „The Miles Mode“, benannt nach dem Vorbild sämtlicher beteiligter Musiker und Inspirator sämtlicher Tracks, Miles Davis. Bis auf eine Ausnahme sind die Stücke zwischen sieben und zwölf Minuten lang, und in denen passiert, was in ihnen passieren muss. Jeder Musiker – ja, alles Männer – bekommt seine Stage Time, alle zusammen generieren zeitlosen Funkjazzrock, der Wellen schlägt. Um die Referenzen an Miles Davis jeweils eindeutig ausfindig machen zu können, muss man vermutlich mehr als nur ein halbes Dutzend Alben des Jazzmeisters kennen. Also hört man Ostinato eben für sich stehend.
Das Schlagzeug shuffelt launig vor sich hin, wenn es nicht dazu angehalten ist, der Musik einen druckvollen Trieb zu geben, denn dann tritt es aus sich heraus. Percussions begleiten diesen Fluss. Mit Gitarre und Bass entstehen funk-jazzige Melodien, leicht abgehackt und rhythmisch, und die Bläser wechseln sich ab in Power-Begleitung und Solo. Wie überhaupt alle eben ihre Soloanteile bekommen, typisch für das Genre und Grund dafür, dass die Musik etwas Wellenartiges bekommt, denn sie wechselt zwischen Zurückhaltung zugunsten einzelner Solisten, die dann auch mal ins Gniedeln fallen, und gemeinsamem kraftstrotzenden Loströten.
Die Miles-Jünger bei dieser Aufnahme waren: Christian Maurer mit Tenor- und Sopran-Saxophon, Florian Fuss am Alt-Saxophon, Bassist Robert Riegler, Schlagzeuger Tommy Böröcz, Gitarrist Rens Newland, Keyboarder Robert Schönherr und Trompeter Simon Plötzeneder. Zwei Tracks sind übrigens von Miles Davis übernommen, „Ois Blues oder wos?“ und „Auf der Kippe“, was etwas verwundert, da man dem Trompeter keine österreichischen oder deutschen Titel zumuten würde, aber tatsächlich sind einem diese beiden Tracks als Bezugspunkte zu Miles Davis auch für Laien am plausibelsten. Was die Qualität des Restes nicht schmälert! An anderen Stellen erinnert die Musik nämlich auch an Isaac Hayes, Carsten Bohn’s Banstand oder eben den angesprochenen Maceo Parker.
Joschi Schneeberger Gypsy Swingtet feat. Patrizia Ferrara – Susmogus (City Park Records 2023)
Es dauert eine Weile, bis es einem auffällt, aber: „Susmugus“ hat kein Schlagzeug, Joschko „Joschi“ Schneeberger ihm sein Gypsy Swingtet spielt seinen selbst so genannten Gypsy Jazz ohne Beats. Und auch ohne Moderne: Die Musik hätte ziemlich sehr so wie hier auch vermutlich vor 100 Jahren schon gespielt worden sein können. Zwei Gitarristen und ein Kontrabassist übernehmen die Begleitung einer Sängerin, die Akkorde sind kurz und rhythmisch angeschrummt, diese Musikrichtung ist ein dem Jazz verwandter Swing, der von Gesangsmelodie, gelegentlichen handwerklich beeindruckenden Soli und Rhythmus- wie Tempowechseln über die Songs hinweg lebt; einen Shuffle etwa bekommt die Gruppe auch ohne Schlagzeug hin. Und drei Stücke auch ohne Gesang, da toben sich die drei Saitenvirtuosen dann bereichernd aus. Zu hören sind Eigenkompositionen, authentisch im Stil der Zeit gehalten, und Coverversionen, etwa von Duke Ellington, George Gershwin oder Django Reinhardt.
Dieses Swingtet besteht aus dem Kontrabass spielenden Bandchef Joschi Schneeberger sowie den Gitarristen Martin Spitzer, der erst kürzlich verstarb und dessen Vermächtnis „Susmogus“ folglich ist, und Julian Eggenhofer. Als Sängerin holten sie sich Patrizia Ferrara hinzu, eine in Italien geborene Jazzsängerin, die die Songs mit klarer, lebendiger Stimme und auch mal mit Tremolo intoniert und sich wie eine Krone auf die zurückhaltende, aber ausdrucksstarke Musik setzt. Man muss das Album laut hören, um die Nuancen umfassend wahrnehmen zu können.
Schneeberger und Spitzer teilen eine lange und intensive gemeinsame Musikerzeit sowie Discografie, die Liste der miteinander umgesetzten Projekte ist lang, die derjenigen vorher und nebenbei noch länger. Neu für dieses Album rekrutierten sie das offenbar noch unbeschriebene Blatt Eggenhofer, weit weniger unbeschrieben ist die Biographie von Ferrara. Hört man „Susmogus“ – was vermutlich eher nicht an den Amogus-König SusMogus angelehnt ist –, fühlt man sich in ein musikalisches Museum versetzt, das sehr anschaulich transportiert, wie diese Art von Gypsy Jazz vor 100 Jahren geklungen haben mag – und insbesondere bei den schnelleren Nummern kommt man aus dem Mitwippen und Kopfnicken nicht heraus; das Quartett treibt es ausgerechnet mit dem Rauswerfer auf die Spitze: schneller geht’s nicht!
Rens Newland – Singles, Grooves & Memories (2022)
Einen Überblick über fast 40 Jahre Musikschaffen bietet „Singles, Grooves & Memories“ des in Amersfoort als Rens Nieuwland geborenen und in Wien aktiven Labelchefs und Gitarristen Rens Newland, der in gut einer Stunde seinen Werdegang nichtchronologisch abhandelt. Was man zunächst gar nicht wahrnimmt, wenn man die Credits nicht zuerst liest: Für eine Jahrzehnte überspannende Schau ist das Album trotz seiner zwangsläufigen Vielseitigkeit überraschend homogen geraten; gut, der Schwerpunkt liegt ja nun auch auf den zurückliegenden fünf Jahren. Berücksichtigt sind hier Newlands Solo-Aktivitäten sowie seine Bands Scope, Ostinato und Fuse Bluezz, also Prog-Rock, Fusion-Jazz, Funk, Soul, Blues und mehr, und lässt natürlich Lücken, denn Newland war und ist noch viel umtriebiger als in diesen wenigen Konstellationen.
Los geht’s mit der Single-Version von „Frisky Frog Funk“, im Original 1974 als Single und 1975 in längerer Fassung auf „II“ erschienen, also mit Newlands erster Band Scope, die bereits den Jazzrock auf dem Etikett stehen hat und dem Prog Rock wunderbar nahe steht. Der nächste Track „Sibirian Husky“ macht einen Zeitsprung von zehn Jahren; man hört ihm gewiss die Achtziger in der Produktion etwas an, aber dennoch wirkt der Sprung nachvollziehbar, hin zum jazzunterfütterten Fusion-Prog. „Fingerflow 1 (Nylon in A)“ aus dem Jahr 2021 könnte eine Spielübung in spanischer Folklore sein, die Instrumental-Version von „Voodoo Guy“ abermals aus dem Jahr 1984 liegt irgendwo zwischen Jan Hammer und „Boys Of Summer“ von Don Henley gut platziert; hier hört man an den Drums die Achtziger am deutlichsten heraus. Anders das vier Jahre später mit Ostinato aufgenommene „Having Real Fun“, bei dem es eher der Synthie ist, der zum Sade-Schmusesound mit Saxophon dem ersten Gesang auf dieser Sammlung die Bühne freiräumt, denn Gina Charles begleitet dieses Stück. Gut, die Handclaps im Hintergrund sind auch schon deutlich Achtziger, aber die hört man kaum heraus.
In dieser Vielseitigkeit setzt sich der Reigen fort, mit dezidierten Besonderheiten wie der funky Fender Rhodes (zumindest klingt es danach) in „Sway Shuffle“ (2022), Taubengurren in „My Daily Dove Dance“ (2021), dem loungigen Blues in „Vienna Got The Blues“ mit Fuse Bluezz (2021) sowie mit dem Rauswerfer „War (What Is It Good For?)“ (2022), im Original von Edwin Starr und hier in einer fast doomig vorgetragenen Mirdtempo-Funk-Variante, zudem der erst zweite und somit letzte Einsatz von Stimme auf dieser Compilation.
Bis auf die zwei, drei relativ eindeutigen Achtziger-Tracks könnte dies auch ein lediglich angenehm heterogen zusammengestelltes Album sein. Manches kann man sich auch, analog Carsten Bohn, wunderbar als Zwischenmusik in Hörspielen vorstellen. Kann man sich kaum ausmalen, dass das wirklich 40 Jahre sind, die hier abgedeckt sind!