Von Matthias Bosenick (30.0.52018)
Kirk Brandon ist unermüdlich. Seine Projekte und Bands führt er seit fast 40 Jahren, das neueste Album erscheint unter seinem populärsten Moniker Spear Of Destiny. Und es klingt wie einst im Mai: druckvolle, beinahe pathetische Rocksongs mit Brandons glockenhellen Gesang und einer Energie, als wäre es noch 1983. Sie werden ihn niemals lebend kriegen.
Vom ersten Takt an erfüllt das Album alle Anforderungen, die man an Spear Of Destiny hat: Es rockt saftig, die Melodien prägen sich schnell ein, die Lieder transportieren unterschiedliche Stimmungen, Brandon singt wie ein Chorknabe. Dabei agiert er musikalisch wie seit einigen Jahren schon weitaus rockiger, als Spear Of Destiny zu ihrer Blütezeit klangen; das steht dem Sound der Band ausgesprochen ausgezeichnet. Singalongpassagen gibt es trotzdem, und man ertappt sich dabei, dass man sie kein Stück peinlich findet, sondern konstatiert, dass sie das Mitreißende des Albums nur fördern.
Erst vor zwei Jahren veröffentlichte Brandon ein Album unter seinem anderen wichtigen Alias Theatre Of Hate, „Kinshi“. Es ist erstaunlich, wie sehr Brandon offenbar kompositorisch zu unterscheiden vermag, für welche Band er gerade aktiv ist: Man kann sie nicht verwechseln, Theatre Of Hate wurzeln deutlich stärker im spröden Waverock. Und das trotz Überschneidungen in der Besetzung: Craig Adams etwa spielt bei beiden mit. Jener Bassist unterstreicht zudem die Verschwisterung in der Szene: Er verließ mit Wayne Hussey die Sisters Of Mercy, um The Mission zu gründen, und spielt auch bei The Alarm. Deren Mike Peters wiederum teilte mit Brandon ein anderes Projekt: Dead Men Walking, ein szeneübergreifendes Akustikpunkkonglomerat mit Leuten von unter anderem The Cult, Sex Pistols, Big Country, Skids, The Ruts, Stiff Little Fingers, Stray Cats, The Clash, Simple Minds, The Living End und The Damned. Zurück zu „Tontine“: Die weiteren Mitmusiker sind auf diesem Album Adrian Portas (Sex Gang Children, New Model Army), Phil Martini (The Quireboys) und Steve Allan Jones (The Alarm), beteiligt ist außerdem Cellist Sam Sansbury, mit dem Brandon jüngst zwei Soloalben aufnahm. Die schöne Ausnahme zum Sprichwort ist, dass die vielen Köche den Brei hier nicht verderben.
In einer Art Eigen-Pledge ließ sich Brandon „Tontine“ vorfinanzieren, und wer sich einreihte, erhielt das Album als Doppel-CD – was nicht nur die ohnehin etwas knappe Spielzeit verdoppelt, sondern auch das Vergnügen, und außerdem nicht nur Alternativversionen beinhaltet, sondern auch exklusive Songs. „Tontine“ ist übrigens kein Tippfehler von „Tonite“, der Titel ist ähnlich überrumpelnd wie „Untilted“ von Autechre: Bei Tontine handelt es sich um eine in Westafrika entwickelte Kreditart oder Rentenversicherung. Afrikanische Elemente finden sich in einigen Songs wieder, außerdem auf dem Cover, das bei genauem Hinsehen eine dunkelhäutige nackte Frau zeigt, die vor einer Holztür steht. Auch eine Methode, Brüste unterzubringen. „Tontine“ ist das womöglich 14. Album von Spear Of Destiny, ohne die Liveaufnahmen; wer Brandon sammeln will, muss viel Zeit und Geld investieren. Es lohnt sich aber, und das gilt auch für „Tontine“.