Von Guido Dörheide (20.01.2024)
Vom Namen her sind Sleater-Kinney (übrigens „Släiter“ ausgesprochen und nicht „Slieter“) das us-amerikanische Gegenstück zu Halstenbek-Krupunder oder Hann. Münden-Hedemünden, denn sie haben sich nach einer Autobahnausfahrt benannt.Die Musik dieser unglaublichen Band um die beiden Gitarristinnen und Sängerinnen Carrie Brownstein und Corin Tucker (seit dem Ausstieg der Schlagzeugerin Janet Weiss im Jahr 2019 sind es auch die einzigen Bandmitglieder) verehre ich nun schon seit 27 Jahren, also mehr als mein halbes Leben lang. Hatte ich damals immer gerne Punk und Postpunk von Männern gehört, öffneten mir Team Dresch, Sleater-Kinney und Bikini Kill (in genau der Reihenfolge) die Augen, Ohren und vor allem den Verstand, dass es die Welt um ein Vielfaches besser macht, wenn man Punk mit Feminismus kombiniert. „Dig Me Out“ von 1997 war da erste Werk von Sleater-Kinney, das ich hörte, und seitdem hat mich keine Veröffentlichung der Band aus Olympia, Washington, jemals enttäuscht. Nach „Dig Me Out“ kaufte ich mir erstmal die erste und zweite LP der Band („Sleater-Kinney“ und „Call The Doctor“) und kriegte mich erstmal vor Begeisterung kaum wieder ein. Damals hatte ich weniger Alben als heute und hörte sie dementsprechend öfter, die Zeit bis „The Hot Rock“ im Jahr 1999 dauerte für mich ewig, ich feierte das Album und ebenso „All Hands On The Bad One“ ein Jahr später. Dann verlor ich die Band aus den Augen und stieg 2005 mit „No Cities To Love“ wieder ein, wieder voller Begeisterung. Und seitdem finde ich, dass die Band von Album zu Album immer großartiger wird.
„Little Rope“ ist das Werk zweier Frauen um die 50, denen seit über einem Vierteljahrhundert im Bereich des Indie-Rock niemand etwas vormacht und die es nicht nötig haben, Fahrräder oder den Rock’n’Roll neu zu erfinden, und was machen Brownstein und Tucker? Die gehen bei und hauen einen vierunddreißigminütigen Tonträger raus, der musikalisch meiner Meinung nach alles in den Schatten stellt, was S-K bislang veröffentlicht haben. Zunächst sind da die Stimmen der beiden Musikerinnen, die sich nie besser angehört haben als auf dem aktuellen Album. Dann die Härte des Ganzen – Sleater-Kinney entfachen in manchen Songs einen wundervollen Krach, der nicht irgendwie nach „abgebrühte alte Indierockstars lernen die jungen Leute mal, wo Barthel den Hammer hingehängt hat“ klingt, sondern einfach so sein muss.
Bereits der Opener „Hell“ begeistert mich – „Hell don’t have no worries, hell don’t have no past, hell is just a signpost when you take a certain path. Hell needs no invitation, hell don’t make no fuss. Hell is desperation and a young man with a gun“, heißt es zu dezenter Gitarrenbegleitung. Und dann bricht ein Inferno los, „You ask why like there’s no tomorrow“, dann wieder eine ruhige Strophe und dann wieder dieses Höllenrefraininferno. Dieses Album hat mich jetzt schon gepackt.Und es geht immer besser immer weiter: „Needlessly Wild“ enthält diese typischen, vom bollernden Bass getragenen, quietschenden Gitarrenriffs, die mich schon immer bei Sleater-Kinney begeistert haben. „Say It Like You Mean It“ besticht mit einem Gesang, der mich genau an das erinnert, was mich damals auf „Dig Me Out“ gefesselt hat, und gleichzeitig klingt dieser Gesang, als würde Stevie Nicks jetzt in einer Punkrockband singen. Hammer!
Auf „Hunt You Down“ ertönt ein elektronisch verzerrter Bass, der Refrain ist dann wieder 100% S-K aus den 90ern – hier hat eine Band ihren unverwechselbaren Sound gefunden und auf eine Weise weiterentwickelt, dass ich irgendwie gerade nicht genug davon kriegen kann.
Ich gebe zu, dass mich einige Alben von Sleater-Kinney trotz aller Originalität und Energie an einigen Stellen gelangweilt haben – „Little Rope“ tut das an keiner Stelle. Auf „Six Mistakes“ wird dann der Sound auf einmal auch sehr altmodisch – das Stück poltert vor sich hin, die Instrumente klingen wie auf jahrzehntealtem Equipment eingespielt und auf einmal ertönt ein warm klingendes und trotzdem schräg klingendes Gitarrensolo und ein Noise-Gewitter bricht über die Hörenden herein, Sekunden später wird dann wieder das altmodische Gepolter vom Anfang des Stücks aufgegriffen. Großartig.
Hier könnte das Album meinetwegen auch gerne enden und ich würde es sofort wieder von vorne abspielen, aber mit „Crusader“, „Dress Youself“ und „Untidy Creature“ folgen noch drei klasse Songs, vor allem das zurückgenommene „Dress Yourself“ ist ein wiederholtes Hören mehr als wert, und „Untidy Creature“ am Schluss bietet mit seinem polterndem Schlagzeug und den hallenden Gitarren-Intermezzi dem Gesang eine tolle Bühne. Ohne die vorherigen Veröffentlichungen von S-K jetzt nochmal gegengehört zu haben, versteige ich mich zu der Behauptung, dass die Band auf „Little Rope“ ihre in den letzten Jahrzehnten erlernten Trademarks souverän weiterentwickelt und das Songwriting dabei noch verbessert hat. Irgendwie hat mich noch kein Album der Band so sehr begeistert wie dieses.