Shihad – Live in The Garage/G2 in Glasgow am 27. November 2019

Von Matthias Bosenick (29.11.2019)

Was für ein Gig! Das dürfte sich in die Top 5 der eindrucksvollsten Konzerte aller Zeiten einbrennen. In Neuseeland sind Shihad große Helden, in Europa beinahe unbekannt, und wenn sie in Glasgow nach 24 Jahren Abstinenz vor kaum 100 Leuten rocken, geben sie so sehr alles, als wären es über 1000. Anlass für den ersten Trip nach Europa seit neun Jahren ist der 30. Geburtstag der Band, und den zelebrieren Shihad mit einem Rückblick auf fast alle Alben, nur – und das haut am meisten um – teilweise noch deutlich härter als auf CD. Und mit Fanknuddeln zum Abschied sowie der Aussicht auf ein neues Studioalbum inklusive möglicher Gigs in Deutschland. Rock‘n‘Roll!

Ihre Lieblingslieder von ihren jeweiligen Alben würden Shihad an diesem Abend spielen, kündigte der sympathische Sänger und Gitarrist John Toogood an. Bei der großen Auswahl grandioser Songs ist eine erhebliche Überschneidung mit dem eigenen Geschmack zu erwarten, und die vier Kiwis enttäuschen nicht. Im Gegenteil: So heavy, wie sie ihren Backkatalog spielen, könnten auch die durchaus existierenden schwächeren Songs zu Lieblingsliedern werden. Vier Männer um die 50 in schwarzen Shirts und Jeans, die allesamt erkennbar und nachfühlbar Bock auf den Abend und ihre eigene Mucke haben; und das teilen sie mit dem spärlichen, aber enthusiastischen Publikum. Wie muss sich das für eine Band anfühlen, die um die halbe Erde reist, um vor Leuten zu spielen, die zu jedem Song ausrasten und alles textsicher mitsingen?

Und weil die Jungs so großen Bock haben, spielt Toogood eben auch mal eine Passage von der rückwärtigen Theke aus, und aus gleichem Grunde verlustiert sich Bassist Karl Kippenberger an den Sitztischen und schenkt den dortigen Gästen Getränke nach, während er an seinem Instrument die wuchtig-metallisch klingenden Saiten anschlägt. Derweil setzen Leadgitarrist Phil Knight und Schlagzeuger Tom Larkin ihr treibendes Tun fort. Und da kann die Mucke noch so heavy sein, ohne Grinsen beendet keiner der vier die Stücke.

Und heavy, das sind sie. Der Gig beginnt mit den zwei ohnehin besten Songs des letzten Albums, „Think You‘re So Free“ und dem Titeltrack „FVEY“, der auch ohne Jaz Colemans Einschrei funktioniert und – wie viele andere Songs bis selbstredend hin zum Debüt – in seiner Struktur und mit seinem hymnisch-zwingenden Gesang an die monotonistischen Lieder von Killing Joke erinnert. Die nächsten beiden Alben „Ignite“ und „Beautiful Machine“ überspringen Shihad leider, obwohl zumindest „Ignite“ mit „Sleepeater“ und „Lead Or Follow“ passende Songs enthält und die Stücke vom leider handzahm-poppigen „Beautiful Machine“ im musikalischen Gewand dieses Abends sicherlich nachträglich noch überzeugt hätten. Also geht es weiter mit der Comeback-Platte „Love Is The New Hate“ und dem auch auf Platte schon extrem harten Kracher „Alive“.

Comeback deshalb, weil sich Shihad, um Verwechslungen mit dem Jihad zu vermeiden, nach 9/11 für je ein Studio- und ein Live-Album in Pacifier umbenannten. Eigentlich war dieses „Pacifier“ betitelte Album auch eher gefällig, aber nicht an diesem Abend: „Comfort Me“ und „Run“ spielen zwar ihre einkalkulierten Mitsingqualitäten aus, aber mit weit mehr Wucht, als es die damaligen Vergleichscombos, nach denen das Album klang, also beispielsweise die Foo Fighters oder die Stone Temple Pilots, zuwege gebracht hätten.

Es folgen die Neunziger: Mit „Brightest Star“, „My Mind‘s Sedate“, dem Titeltrack, „Wait And See“ und „Pacifier“ (ist tatsächlich nicht von jenem Album, sondern von diesem) ist „The General Electric“ gleich fünfmal härtestens vertreten. Das Album markiert mit dem selbstbetitelten Vorgänger den Übergang von den komplexeren ersten zu den eingängigeren folgenden Alben. „Shihad“ nun ist mit den Hits „Home Again“ und „La-La-Land“ vertreten, die das Tempo wieder anziehen und die Punkrock- und Metal-Wurzeln der Band freilegen. Vom Zweitwerk „Killjoy“ folgen „Debs Night Out“ und „You Again“, die beide noch die Jaz-Coleman-Einflüsse des von ihm produzierten Debüts tragen.

Darauf kommen Shihad aber erst zu der Zugabe zurück: Mit „Factory“ knüppeln sie das erste Stück des ersten Albums los und schlagen damit sofort und ohne ausmachbaren Altersunterschied mit „Cheap As“ die Brücke zu „FVEY“, zu heute also, und weil das – Toogood bezeichnet es als „Cheap As Fuck“ und sein bestes je kreiertes Riff – nicht ausreicht, galoppieren sie überganslos mit dem noch schnelleren „Model Citizen“ vom nämlichen Album endgültig davon und hinterlassen eine druchgeschwitzte und glückliche Meute.

Die Meute bedankt sich herzlichst bei der Band, die sich ihrerseits ebenso herzlich zurückbedankt, teilweise sogar als Auslöser: Einer der Konzertbegleiter, der die Band zum ersten Mal überhaupt hörte, erzählt, dass der Schlagzeuger mit ausgestreckter Hand auf ihn zukam und sich überströmend für dessen Anwesenheit erkenntlich zeigte. Überhaupt strahlen alle vier Musiker über die Zuneigung, die ihnen entgegenschwappt, inklusive Erinnerungen an erste oder letzte gesehene Konzerte verteilt über den ganzen Globus (Neuseeland, Australien, Dänemark (Roskilde Festival 1995, der Initialmoment für den Berichterstatter), Braunschweig (Anfang der Neunziger im Anschluss an die Tour mit Faith No More im Brain, verpasst, leider) oder Glasgow). Jeder lässt sich nicht nur fotografieren, sondern ist zum Knuddeln aufgelegt und trotz der Garage-Belegschaft, die am liebsten längst schon Feierabend gemacht hätte und alle, auch die Musiker, rauswirft, zum langen Plaudern aufgelegt. Dabei erzählt Toogood etwa von den Aufnahmen zum neuen Album, die Shihad in der kommenden Woche beginnen, und zwar mit einem Producer, der auch schon für Rage Against The Machine arbeitete – das lässt Rückschlüsse auf die musikalische Ausrichtung des zehnten Albums zu. Und wenn dann wirklich wieder Gigs in Deutschland zum Begleitprogramm gehören, wird der Abstand zwischen den besuchten Konzerten hoffentlich geringer. Die Energie der Band wird es sicherlich nicht, die Leidenschaft ihr gegenüber ebenso wenig. Danke, Shihad!

Und ab geht‘s nach auf ein Pint mit Olli und Bill in Edinburgh um die Häuser. Slàinte!