Von Matthias Bosenick (01.04.2015)
Ein Kinofilm zu einer TV-Serie, die ihrerseits Spin-Off eines Kinofilms („Wallace & Gromit unter Schafen“, von 1995!) ist – von hinten durch die Brust ins Knie, könnte man meinen, ist aber eher ein Blattschuss: „Shaun, das Schaf – Der Film“ (offiziell tatsächlich ohne Komma) ist gut, und zwar eher im Sinne der ersten Staffel als der jüngeren Folgen, die zumeist eher lieblos hingedengelt wirken. Das bewährte Knetmännchenteam aus den Aardman-Studios schafft es, einen Anderthalbstundenfilm komplett ohne menschliche Wortäußerungen in Gänze unterhaltsam zu gestalten. Es ist schon in der Serie mutig, vollständig auf zitierbare Witze zu verzichten. Shaun vermittelt seine Weisheiten nonverbal, und zu vermitteln hat er tatsächlich ein bisschen was. Alte Werte, ja, aber doch entschuldbar und anrührend. Positiv ist außerdem, dass hier der namenlose Farmer nicht als selbstgefälliger coabhängiger Semi-Gegner erscheint, sondern als liebenswertes Familienmitglied. Das hat er sich verdient.
Natürlich zieht die Serie ihren Witz daraus, dass der Farmer nichts davon wissen darf, wie menschlich sich die Schafherde um Shaun und deren Hütehund Bitzer eigentlich benehmen. Der Farmer ist in den Miniepisoden ein zivilisationsuntüchtiger, egomanischer Depp, dem man es gönnt, Besitzer von Schafen zu sein, die intelligenter sind als er. Je länger man indes diesem gebrochenen Mann beim Scheitern zusehen muss, desto mehr beschleicht einen ein gewisses Mitleid; vielleicht ist es auch nur der Wunsch, ihn zu schütteln und ihm zu sagen, dass er sich mal ein bisschen reflektieren soll. Nun, sowas kommt davon, wenn man als Erwachsener Kindersendungen guckt. Und sowas spricht andererseits für die Qualität der Kindersendung, die dem adulten Betrachter auch etwas mitgibt, das über Beulen- und Furzwitze weit hinausgeht.
Wie bei jedem Kinofilm zu einer TV-Serie müssen die Macher den Spagat zwischen Fans und Neuguckern schaffen. Bei Shaun gewinnen beide, ganz eindeutig. Der Fan sieht zunächst das seit Jahren vertraute Intro variiert; das ist dann auch gleich der Aufhänger für die Story, denn Shaun wird der Monotonie müde und will aus dem Alltagstrott ausbrechen. Ein Thema, das in Zeiten von Burnout und Selbstverwirklichungswahn vielen Zivilisationsmüden vertraut ist. Shaun deichselt es so, dass er den Farmer per Schäfchenzählen narkotisiert und ihm in einem ausrangierten Wohnwagen die anhaltende Nacht vorgaukeln will. Doch setzt sich das Vehikel in Bewegung und strandet in der Stadt. Jetzt starten zwei parallele Handlungen: Der Farmer erleidet eine Amnesie, bricht aus dem Krankenhaus aus und wird dank seines unbewussten Schafscherreflexes zum eigenwilligen, aber hippen Starfrisör. Die Schafe und Bitzer wiederum versuchen, als Tiere unerkannt in der Stadt ihren Eigentümer ausfindig zu machen. Als Feind steht ihnen ein filmmonsteresker Tierfänger gegenüber, als Verbündeter ein räudiger Rattenköter zur Seite.
Der Film sprüht vor Ideen, ganz wie schon „Wallace & Gromit“, „Chicken Run“ und „Pirates!“; es ist eine Freude, dass auf das Team verlass ist. Der Shaun-Film ist nun nicht permanent so rasant wie die erste Staffel, aber das ist auch gut so, das könnte man nicht ertragen. Vielmehr sind die Etappen gut konstruiert und die Wege dazwischen überzeugend ausgestaltet. Die Detailfülle ist liebreizend, man müsste den Film sicherlich Frame für Frame gucken, um alle Ideen zu entdecken. Autos, die durch Pfützen fahren, oder Gegenstände, die durch Röhren kullern: Auch visuell ist der Film attraktiv. Anspielungen an andere Filme oder Kulturgüter gibt es zuhauf, vielleicht nicht immer beabsichtigt; natürlich waren Shaun und seine Bande schon mal mit dem Bus in der Stadt, und zwar zum Pizzakaufen. Mit den Muppets waren zudem schon ganz andere TV-Puppen in einem Kinofilm in einer großen Stadt unterwegs. Die Restaurantszene erinnert an die „Blues Borthers“, es gibt Szenen aus Knastepen, aus Actionfilmen, aus Detektiv- und Agentengeschichten. Wie schon in „Piraten!“ zeugt die Musikauswahl der englischen Produzenten von Kennertum; „Bad To The Bone“ von George Thorogood & The Destroyers oder „Rocks“ aus der Rolling-Stones-Phase von Primal Scream kennen sicherlich nicht mal die meisten Begleiter des jugendlichen Publikums. Allein im Abspann steuert der deutsche Verleih einen schmierigen Durchhalteschlager bei, spot the difference. Und: Das Permagefiedel hätte man sich sparen können.
Dem Farmer nun billigt der Film eine Vergangenheit zu, die ihn als coolen Sunnyboy ausweist, der mit seinen Tierkindern kuschelt und eine gute Zeit hat. Erinnerungsträger ist hier ein Song, der letztlich auch dafür verantwortlich zeichnet, die Amnesie abzuschütteln. Nicht nur als Frisör macht der Farmer eine einigermaßen vertrauenswürdige und selbstbewusste Figur, auch als Retter seiner Herde etabliert er sich als Sympath, als Vaterfigur gar. Und unterstreicht die kleine tränendrüsige Moral, dass es trotz aller Monotonie zu Hause doch am besten ist – wenn man seinen Alltag bewusst auch mal anders gestaltet. Das lohnt sich: „Shaun“ schaun.