Von Guido Dörheide (03.09.2022)
So – bevor der Herausgeber dieses Blogs wieder fragt: „Was ist mit SVE?!“ – hier jetzt die Antwort: Der Artikel über das aktuelle Album von Sharon van Etten ist endlich fertig. Hier ein kleiner Vorgeschmack, der auch wieder nicht ohne geschichtlichen Exkurs auskommt: Sharon van Etten aus aus Clinton, New Jersey (upps – das klingt wie „Schröder, Ostwestfalen“) macht Alben seit 2008 und Musik schon viel länger. Ihr erstes Album „Sharon van Etten“, veröffentlicht 2008, enthält absoluten Depri-Singer-Songwriter-Folk, zu dem selbst Nick Drake die Tränen in den Augen gestanden hätten. Das zweite Album „Because I Was In Love“ aus dem Jahr 2009 wiederholt dasselbe Trauerspiel. Wunderschön, aber nur heulend zu ertragen. Liebe muss schlimm sein.
Mit dem dritten Album „Epic“ kam dann etwas Schmackes in den Sound von Sharon van Etten. Vor allem Schlagzeug kam dazu. Im vergangenen Jahr hat van Etten das Album neu rewiederveröffentlicht und eine Bonus-CD dazugepackt, auf der sich große Namen wie Big Red Machine (das sind Justin Vernon von Bon Iver – gleichzeitig Chef von van Ettens aktueller Plattenfirma Jagjaguwar, auf der neben Bon Iver auch Kurt Vile und die noch in diesem Satz ebenfalls genannt werdende Courtney Barnett ein epochales Meisterwerk nach dem anderen veröffentlichen, und Aaron Dessner von The National – einer der kreativen Köpfe hinter Taylor Swifts wundervollen beiden Folk-Alben), Idles, Lucinda Williams (die größte noch lebende Singer-Songwriterin aller Zeiten und eines der Vorbilder van Ettens), Courtney Barnett und Fiona Apple (!) daran austoben, van Ettens Album in voller Länge zu covern.
Seit dem 2014er-Album „Are We There“ hört sich SVE eigentlich so an wie heute. Und seit 2019 („Remind Me Tomorrow“) bin ich Fan – bei diesem „We held hands as we parted“ im ersten Stück „I Told You Everything“ nicht zu heulen, kriege ich nicht hin – kriegt niemand, denke ich. Jetzt hat SVE schon seit Anfang Mai ein neues Album in den Auslagen gut sortierter Schallplattenfachgeschäfte zu liegen und die Messlatte liegt mit dem 2019er-Vorgänger hoch. Sehr hoch… und van Etten enttäuscht nicht.
Das Album ist insgesamt melancholisch, manchmal düster, was mit van Ettens klarer, mit viel Hall unterlegter Stimme wunderbar harmoniert. Mit „Darkness Fades“ beginnt das Album sehr ruhig, überhaupt ist es insgesamt von der ruhigen, langsamen Sorte, steigert sich aber immer wieder zu einer ordentlichen Lautstärke. So bereits im Eröffnungsstück: Nicht das Tempo wird angezogen, aber gegen Ende wird es immer lauter, teilweise ein ganz klein wenig bedrohlich.
Auf „Home To Me“ kommt eine langsame Schlagzeugmaschine dazu und im Refrain dann wieder dieses Bedrohlichkeits-Ding: Bei dem langgezogenen und von Zeile zu Zeile mit immer mehr Inbrunst gewehklagten „Yoooouuuuuuuu come home to me“ bin ich nicht sicher, ob sich die Erzählerin über jemanden, der/die heimkommt, freut, oder eher „komm Du mir nach Hause“ meint oder gar „Komm jetzt endlich nach Hause, Duuuuu!“ Zusammen mit den restlichen Textzeilen vermute ich eine schmerzliche Beschäftigung mit Verlustängsten.
„I’ll Try“ zieht dann vom Tempo ein wenig an, aber „Midtempo“ ist noch nicht erreicht, wie ich finde. Der Gesang klingt weniger klagend, beiläufiger und auf jeden Fall sehr sehr schön. Der Text klingt wieder düster, und ich gebe zu, er ist für mich zu kryptisch, um ihn zu verstehen. Nicht nur, weil keine Pferde darin vorkommen. Im folgenden „Anything“ liegt SVE die ganze Nacht wach, kann nicht aufhören, über Frieden und Krieg nachzudenken, fühlt letzten Endes dennoch nichts und kommt zu dem Schluss, dass Kette rauchen nicht richtig und das Nachmittagsbier unterschätzt ist. Nun ja. „Born“ ist dann wieder ganz düster und das Klavier und van Ettens Stimme ergänzen sich auf das Wunderschönste.
Dann geben sich die dunkelsten Seiten der 80er Jahre die Ehre – „Headspace“ startet mit einer ganz dunkel hingehauchten Schlagzeugmaschine, die von ebenso dunkel wabernden Synths begleitet wird, und im Refrain nutzt SVE wieder ein Stilmittel, das sie beherrscht wie kaum jemand sonst: Die Kunst der Wiederholung einer einzigen Zeile, die einen fortan nicht mehr loslässt. „Baby, don‘t turn your back to me“ lautet sie in diesem Fall und man möchte ihr immerfort versichern „Ich bin doch da, allet wird jut!“ Wobei man sich nicht wirklich sicher ist, dass es das wird. „Come Back“ beginnt mit einer ruhigen Akustikgitarre und synthetischen Streichern, während sich an Ettens Stimme sehr hoch hinauf windet und irgendjemanden beschwört, doch nun um Himmels Willen endlich mal zurückzukommen. Vor der Hälfte des Stückes kommt das Schlagzeug dazu und versucht, Trost zu spenden, aber van Ettens immer wieder wiederholtes „Come back“ klingt nicht danach, als ob das gelänge. „Darkish“ eröffnet wieder mit einer leisen Akustikgitarre und der verloren klingenden Stimme der Künstlerin, die sich gegen Ende zu einem „Akropolis Adieu“-mäßigen Tremolo aufschwingt – ganz großer Gänsehautmoment.
Dann endlich „Mistakes“: Wummernder Beat, Buckets full of Spades of Synths – Rock‘n‘Roll!!! Wäre da nicht der Text: Auch, wenn die Ich-Erzählerin einen Fehler macht, ist es viel besser „als das hier.“ Und vorher singt sie über irgendwas, was eine ihr vermeintlich nahestehende Person macht, die in der Gesamtbetrachtung nicht so gut wegkommt. Boom boom. Und dabei lullt die Musik die Hörenden monoton vor sich hinwummernd ein und diese wünschen sich, dass sich die Künstlerin doch nun endlich mal besser fühlen können sollte. Das passiert natürlich nicht: Der finale Song „Far Away“ baut auf vor sich hinpluckerndem 80er-Jahre-Schlagzeugcomputer und mehreren Schichten Synths auf und gibt van Ettens klagendem und dabei immer schön hoch- und runtermodulierender Stimme jede Menge Raum, die sich mit einem schier endlos wiederholten „Long gone, I’ll see you far away“ verbschiedet. Das Album lässt die/den Hörenden nicht gerade in Hochstimmung, dafür aber umso mehr beeindruckt von dem, wie SVE als Multiinstrumentalistin (Gesang, Gitarre, Schlagzeugmaschine, Synths, Klavier, Orgel) ein wahres Feuerwerk an schlechter Laune, die bisweilen für absolute Hochstimmung sorgt, abzubrennen imstande ist.
Und anstelle des kleinen Vorgeschmacks ist es jetzt doch ein ganzer Artikel geworden.