Von Guido Dörheide (01.02.2022)
„Gutturaler Gesang“, schreibt die deutsche Wikipedia immer. Warum nicht einfach „Gesang“? Der Sänger heißt Sänger, weil der Sänger singt, und ihn ihm sein Beruf ist das Singen. Wenn er Bass spielen würde, hieße er Bassist. Was macht eine Vokalsopranistin, wenn sie mal Alt singen will, aber bei Wikipedia steht, sie sei eine Sopranistin? Auf jeden Fall kann man bei bei Ben Duerr von Shadow Of Intent das „tural“ auch völlig guten Gewissens weglassen, denn sein Gesang ist guter Gesang.
Shadow Of Intent aus Neuengland, USA, spielen „Symphonic Death Core“. Ich mag weder Symphonic Metal noch Deathcore so richtig dolle gerne, aber Shadow Of Intent liebe ich und feiere gerne das, was sie tun. Eine geschlagene Stunde lang setzt die Band auf „Elegy“ dem Hörer zu und es wird niemals auch nur ansatzweise langweilig. Und mit Phil Bozeman von Whitechapel und Chuck Billy von Testament hat sich Ben Duerr auf zwei Songs gewissermaßen gleich zwei Titanen des gutturalen Gesangs an die Seite geholt, neben denen er sich aber nicht verstecken muss. Neben jemandem verstecken wäre auch ein zugegebenermaßen bekloppter Einfall. Also, HINTER Chuck Billy verstecken, das geht, außer man ist Corpsegrinder Fisher oder der unglaubliche Hulk. Der Gesang von Chuck Billy ist natürlich nicht unbedingt andauernd guttural. Außer natürlich auf „Silent Night“, das er vor Jahren mit Scott Ian und anderen aufgenommen hat. Exkurs Chuck Billy Ende.
„Elegy“ beginnt auf „Farewell“ mit bombastischen Orchester und Chor, mischt dann das Ganze mit schnellem Schlagzeug und schönen Riffs, und dann setzt auch schon dieser, wie heißt der noch, also dieser Gesang von Ben Duerr ein. Schönes tiefes Gegrunze, der die klassischen Anteile von „Farewell“ super ergänzt. Das fällt mir ohnehin bei Shadow Of Intent auf: Die klassischen Instrumente und Chöre wirken nie so, als wäre jemand beigegangen und hätte gesagt, „Jetzt werten wir mal die Stromgitarrenmusik mit etwas Hochkultur auf“, sondern alles fügt sich toll ineinander. Trotz allem Gegrowle singt Ben Duerr für meine Ohren sehr melodisch, die Musik dazu treibt nach vorne und die „Core“-Anteile bestehen meines Erachtens glücklicherweise nicht darin, indiemuckemäßige Klargesang-Refrains voller Herzschmerz in den Songs unterzubringen, sondern vielmehr darin, dass immer wieder zwischendurch abgehackte Gitarrenparts mit ordentlich Schlagzeugdonner eingeworfen werden, die ebenso wie die Klassik-Anteile in äußerstem Maße songdienlich sind. Es gibt zwar diese Indiemucke-Momente, aber die sind immerhin sehr kompetent gebrüllt. Wunderschön fügt sich das alles beispielsweise auf „In Fury“ zusammen: Grunzen, Keifen, Kreischen, mittendrin wunderschöne Gitarrensoli und dann wieder Parts, die beinahe zum Mitschunkeln einladen und zu allem Überfluss auch noch ein Klavier, ein Klavier. Überfrachtet, das Ganze? Nein, absolut nicht, fragen Sie mich bloß nicht, wie sowas geht, fragen Sie das lieber die Band. Aber es geht zweifelsohne, und zwar sehr gut.
Und die Texte? Zum einen geht es um die Computerspiel-Serie „Halo“, der Bandname ist von einem dortigen Raumschiff entlehnt, aber da ich nicht nur nicht fernsehe (Erbeermarmelade, einige Leser werden sich erinnern), sondern außer Amazon und WebEx auch keine Computerspiele spiele, kann ich mich dazu nicht wirklich kompetent äußern. Düstere Dystopien, Tod, Verderben, da ist irgendwie alles dabei. Aber schön und eindrucksvoll gemacht. In Teil II und III des dreiteiligen letzten Stücks des Albums, „Elegy“, taucht der folgende, hymnisch vorgetragene Refrain auf, der irgendwie hängenbleibt und auch schön zum Cover-Artwork (Gräber buddelnde Männer vor einer brennenden/explodierenden/auf jeden Fall in irgendwie düsteren Farben leuchtenden Stadt) passt:
So, we sing ourselves to sleep
When the strong overtake the weak
The cities burn, the bridges bend
Now we lay our heads to rest
Scheint wohl doch am ehesten zu brennen, die Stadt. Und was noch hängenbleibt von „Elegy“, sind die schönen Stakkatogesänge, die sich mit mehrstimmigem Chorgesang und frickelig-verspielten Gitarrensoli abwechseln. Und zwischendurch wummert die Bassgitarre. Ein schöner Abschluss eines wirklich schönen Albums.