Von Matthias Bosenick (19.07.2024)
Die Kombination aus dem Bandnamen Sad Pony Girl und dem Titel „Guerilla EP“ lässt sofort Xiu Xiu in den Suchergebnissen erscheinen, die 2003 mit den Song „Sad Pony Guerilla Girl“ ihr Album „A Promise“ eröffneten. Daran orientiert sich das Trio aus Cuneo im Piemont offenbar auch, schließlich covert es auf seinem Debüt den Song „I Love The Valley, OH!“ vom Album „Fabulous Muscles“ aus dem Jahre 2004. Die Stimme von Sad Pony Girl ist indes eine eigene, und dazu eine ausnehmend vielseitige: elektronisch grundiert, reicht der experimentierfreudige Bogen von Dream Pop über Industrial, Rap, italienischem Schlager, Spoken Word bis hin zu Noise Rock.
In chilligem Tempo eröffnen Sad Pony Girl diese EP, die mit rund 35 Minuten Spielzeit länger ist als so manches Album. In „Pond“ singt Eleonora Natilii noch verhuscht-verträumt, die Beats tropfen gemächlich und der Bass läuft, als wäre er bei den Fields Of The Nephilim ausgebüxt, als eigenes Melodieinstrument mit eingebautem Rhythmus. Leichte Synthies ergänzen den Song. Ein wunderschöner Einstand, den „Of Red“ gleich mit einem elektronischen Rumms und einem gemilderten Industrial-Beat ausbremst, weil behutsam beschleunigt. Noch singt Natilii wie im ersten Song, aber zur Hälfte bekommt der Track Fuzz und die Sängerin Bock darauf, mit angezerrter Stimme den Rap zu entfesseln. Ein krasser Wandel.
Kurioserweise ist das angesprochene Cover von Xiu Xiu der am wenigsten Aufsehen erregende Song auf dieser EP. Nicht schlecht, aber in diesem Reigen von acht Songs der mit dem geringsten musikalischen Überraschungsfaktor. Von denen hat „Arson“ schon wieder einige mehr: Der Song beginnt mit einem Kopfnicker-Beat aus dem Hip Hop, zu dem Natilii singt wie die junge Kate Bush. Doch die Band – Multiinstrumentalist Fabio Anghilante und Effekte von Alberto Costa – lässt sich nicht länger halten und kippt den Song alsbald ins Tanzbare, Wilde; Vive la Fête klingen an, sobald auch Gastmusiker Dario Marengo erstmals auf seiner Gitarre losgniedelt und alles kreischiger, schriller, rotziger, energetischer wird.
Was „La zona (Пикник на обочине)“ (Picknick wo bitte?) gleich wieder komplett konterkariert: Völlig entschleunigt mit minimalistischen Beats, sanften Drones, kargen Melodien und auf Italienisch gehaltenen und durch einen Verzerrer geschobenen Spoken Words klingt der Song, als sei er eine experimentelle Karikatur auf italienische Laberschlager. „Nostalgia“ hat wieder diesen ultrageilen Fields-Bass, dieses Mal zu freundlichen Kopfnicker-Beats und Dream-Pop-Gesang, zu dem sich im Refrain eine fuzzy Gitarre gesellt, die sich zum Schluss noch etwas austoben darf. Sogar noch deutlich mehr in „The Raven“, das noch recht lieblich startet, aber den Fuzz und das Tempo erheblich steigert und, ein zweites Mal mit der Hilfe von Marengo, zu einem bratzigen Noise-Rock-Song mit Neunziger-Anleihen wandelt; gerade mit dem chorartigen Gesang von Natilii erinnert das Stück angenehm an Speaker Bite Me. Die EP schließt mit dem verspielten „Teddy Bear“, das bereits 2022 erschien und zu dessen dezidierten Beat- und Sound-Effekten Natilii abermals spricht. Hier hat man etwas The Knife als Assoziation vor Ohren.
Das Trio scheint also bereits seit 2022 zu existieren; vorherige musikalische Stationen der Beteiligten lassen sich kaum ausmachen. Anghilante alias Puckie war 2011 Bassist der Indierockband mit dem hübschen Namen Schneeflock. Von Natilii gibt es einige Kurzgeschichten im Netz. Marengo hat jüngst eigene Songs veröffentlicht. Und Costa – gibt es so häufig, dass man genau diesen nur schwer ausfindig machen kann. Somit scheint Sad Pony Girl für die meisten ein Auftakt zu sein, und da der auch noch so unangepasst erfolgt, ist die Freude über den künstlerischen Wagemut des Trios nur umso größer.