Von Matthias Bosenick (18.12.2023)
Wie man dem alten Gaul Progrock noch immer eine neue Gangart abringen kann: Das Quintett Rubber Tea versetzt ihm auf seinem zweiten Album „From A Fading World“ einen Mix aus Jazz und Bigband, hippiesker Folklore und flötenden Lalo-Schifrin-Filmscores, Carsten-Bohn-Hörspielmusik und Streichern. Den Bremern gelingt es, die vielen Komponenten auf eine unaufgeregte, aber doch aufregende Weise zusammenzufügen: Hier entsteht kein Stress, obwohl so viele Bestandteile zu entdecken sind – und die Band groovt dabei auch noch. Kleine Abzüge gibt es für den Gesang: Vanessa Gross ist keine Inga Rumpf, ihre Stimme ist bisweilen etwas dünn.
Den Auftakt gestaltet das Quintett irreführend: Mit „Ouranja Valley“ gibt es zunächst ein folkloristisch-klampfendes Intro zu hören, kaum mehr als eine Minute lang, dann beginnt der „Day Of Wrath“ mit groovendem Bass, fetten Bläsern und progressiv gebrochenem Rhythmus. Auf der E-Gitarre liegt ein metallisch verfremdender Filter, das Saxophon quetscht ein knappes Solo in den Parcours, und schwupp, Song vorbei, gut drei Minuten Leistungsschau, um eine grobe Orientierungshilfe zu geben, wozu die Band so in der Lage ist. Denn in der Folge bliebt die Musik zwar abwechslungsreich und verschachtelt, doch verteilen Rubber Tea die diversen Ausprägungen auf mehr Stücke, in denen dann trotzdem noch eine Menge los ist.
Und was das alles ist: Sobald die Bläser fett zum Einsatz kommen, hat der Sound etwas von Bigband, in vereinzelter Saxophonie von Jazz. Die Querflöte könnte sich in Soundtracks von Lalo Schifrin einfügen, die Streicher kombiniert mit der Triangel haben ebenfalls etwas Filmscoreartiges, manche Artrock-Passagen hätten so ähnlich auch von Carsten Bohn für die alten Europa-Hörspiele eingespielt worden sein können. Und à propos Rock: Heavy werden Rubber Tea nie, nicht mal den Hardrock kann man hier als Ausrichtung anlegen. Die Schwerpunkte liegen hier anders, mehr auf Kunst und Komplexität als auf Kaputtmachen, denn dafür sind Rubber Tea trotz der vielen Elemente, die sie unterbringen, viel zu filigran.
Einzig schwer fällt es gelegentlich, den Gesang zu goutieren. In Stücken wie „Desert Man“ ist er zu präsent, wodurch die Limitierungen in Vanessa Gross‘ Stimme erst deutlich werden. Interessanter sind die Passagen, in denen sie die verschlungenen Melodien mit ihren Bandkollegen im Chor singt, wie in „Fading Forest“. Tiefere Stimmlagen wie in „Chaturanga“ liegen ihr außerdem besser. Aber Gross singt ja nicht nur, sie spielt auch Flöte und Saxophon, und das passt immer. Bei ihr sind die zwei Soundscape-Musiker Lennart Hinz am Bass und David Erzmann am Keyboard sowie Schlagzeuger Henri Pink und Gitarrist Jonas Rustai. Und diverse Gastmusiker, die mit Cello, Violine, weiteren Saxophonen, Trompete und Tuba den Sound an den richtigen Stellen andicken.
Wie es sich im Progrock gehört, handelt es sich bei „From A Fading World“ um ein Konzeptalbum. Rubber Tea erzählen darauf die Geschichte einer Person namens Emily, die von einem Sandsturmmonster gejagt wird und sich in einem kleinen Flugzeug aufmacht, um den Rest der Menschheit vor der Bedrohung zu warnen. Im echten Leben lässt sich gegen Sandsturmmonster ja leider nichts ausrichten, aber immerhin wird ein schönes zweites Album für die Band Rubber Tea daraus.