Von Matthias Bosenick (01.08.2022)
Noise? Avantgarde? Oder doch schlicht und einfach Jazz? Zum dritten Mal kam das Projekt Roji („Taubedeckter Boden“ auf Japanisch) zusammen, um ein Album einzuimprovisieren, mit Schlagzeug, Bass, Synthies, Saxophon und Trompete, also klassisch – nun: weder Rock noch Jazz, und das trifft auch auf die Musik zu, die ist komplett eigen. Und ein weiterer Beleg dafür, dass Schönheit auch im vermeintlich Unhörbaren liegen kann: „Dual Gaia“ ist arhythmisch, kakophonisch und in allen Aspekten ungewöhnlich – aber nicht stressig, lärmig, wenngleich sicherlich für ungeübte Hörende anstrengend. Miles Davis und John Coltrane hätten sicherlich ihre Freude daran, mitzuerleben, welche Haken man auf ihrem eingeschlagenen Pfad so schlagen kann, ausgehend von Hückelhoven.
Allem liegt – natürlich! – das zufallsgespielte Schlagzeug von Jörg A. Schneider zugrunde, auf dem Bassist Gonçalo Almeida, Trompeter João Almeida und Alto-Saxophonist Patrick Shiroishi improvisieren. Dazu bedient Schneider gelegentlich seine Synthesizer, gleich im eröffnenden Titeltrack etwa, in dem er damit eine melodielose Grundierung in wechselnder Tonhöhe legt. Das ist doch ein Synthie, oder? Kann natürlich auch sein, dass es ein extrem verfremdeter Bass ist. Das Hi-Hat zischt, das Drumkit klickert, und sofern die tiefen Brummtöne vom Saxophon kommen, könnte dies glatt eine Experimentalversion von Morphine sein. Der Track atmet, trotz aller Nervosität strahlt er Ruhe aus, eine eigenartige Gemengelage, die nicht viele Ensembles beherrschen.
Deutlich zickiger wird der „Bass Chaser“ mit seinem außer Kontrolle geratenen Saxophon, das nunmehr tatsächlich zum moshenden Rhythmus trötet. Morphine außer Rand und Band, das mostet amtlich, mit gelegentlichen Anflügen von Melodien. In „Sinew Bender“ kreuzt plötzlich Jimi Hendrix auf und malträtiert den Bass wie einst seine Gitarre, während um ihn herum die Welt zusammenbricht und die Trompete das Ruder übernimmt. In „Concrete Lymph“ dominieren die tief verzerrten Saiteninstrumente, da spielt das Quartett seine Neigung zur warm klingenden Musik aus. Auf „Snakes With Pride“ kehren die Blasinstrumentisten zurück zum Tröt; hier klingt das Noisecore-Projekt Monno zart durch. Das viertelstündige „More Is More“ gibt dem introvertiert vor sich hingniedelnden Saiteninstrument ordentlich Raum; manche Sounds könnten direkt einer mystischen Tierwelt entnommen sein. Zum Abschluss duellieren sich gestopfte Trompete und Synthie auf „Gratis Privilege“. Und unter allem liegt Schneiders Schlagzeugspiel.
Erstaunlicherweise schlägt der Schriftzug von Roji auf dem Cover eine Brücke zur Schneider-Veröffentlichung direkt davor, nämlich dem Album von Skim, das bis auf den genannten Schlagzeuger absolut gar keine Verbindung zu „Dual Gaia“ hat, da es bereits 20 Jahre alt und noch im früheren Noiserock verankert ist. Schön, dass der Musiker, der sagt, er wolle nicht mehr zurück in den Bandkontext und mit Sängern arbeiten, diese Vergangenheit offenbar doch nicht ablegen mag und zudem mit Roji auch noch Teil eines relativ festen Ensembles ist. Das krawattenartige Trapez auf dem Cover indes führt in die Irre: So akademisch, wie jenes den Anschein erweckt, ist im Schneider-Umfeld nun wirklich niemand. Gottlob!