Von Matthias Bosenick (14.09.2017) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog
Zwei erste Gedanken: Schon wieder ein Malbuch? Und: ausgerechnet über Braunschweig? Malbücher sind seit Jahren ein Trend und das Stadtmarketing ist wohl Wunschleser, denkt man – vor dem Blättern. Danach ist alles anders: Ein „Aus- und Weitermalbuch“ konzipierte Tatendrang-Designerin Roberta Bergmann, sie ließ inmitten der noch farblosen Attraktionen Leerstellen, die der Nutzer selbst zu füllen hat. Der Stadt ringt sie und dem Nutzer verlangt sie damit neue Perspektiven ab. Das macht das Heftlein für mehr als Kinder und entfernt lebende Verwandte attraktiv. Und lustig.
Natürlich sind die ganzen Standards drin, mit denen der Braunschweiger dahergelaufene Unbedarfte und Zugereiste gern bombardiert oder sich einfach mal selbst feiert, weil es sonst niemand tut: der Löwe, die Eintracht, die Atomuhr, der Karneval, die eingeborenen Prominenten (mit solchen muss sich jede Provinzstadt schmücken), die Quadriga, das Herzog-Anton-Ulrich-Museum (der Autor weigert sich, die offizielle, aber falsche Schreibweise zu übernehmen), der Dom, das Theater, das Schloss Richmond, der Burgplatz. Muss ja! Aber schon bei diesen Beispielen stellt man Abweichungen vom Erwarteten fest: Das HAUM ist leer, man hat die Wände selbst zu füllen, mit eigener Kunst gar (und nur die Wände im Buch, wie der Begleittext freundlich betont). Von vier Löwen hat nur einer eine – absichtlich krakelige – Mähne, den anderem muss man selbst eine beifügen. Die Atomuhr ist als Zeigeruhr dargestellt, die völlig aus den Fugen geraten ist. Neben vier vorgewählte in Braunschweig geborene Prominente darf man sich einen eigenen erdenken. Reizend!
Bergmann erweitert ihre touristische Auswahl um selbst für manche Braunschweiger ungewöhnliche Attraktionen wie Konrad Koch, Sport außer Fußball an sich, Wilhelm Raabe, die höchsten Gebäude der Stadt oder die Luftfahrt. Viele auch dieser Bilder lässt Bergmann unvollständig, wie gehabt mit der Aufforderung, selbst kreativ zu werden. Konsequenterweise hätte es zum Abschluss genau dafür einer komplett leeren Seite bedurft, denn die Heimatstadt ist sicherlich für jeden ihrer Bewohner noch um eine persönliche Attraktion reicher, als sie das Buch bei aller Fülle anbietet. Dabei ist Bergmanns Auswahl attraktiv umfassend, da gibt es nichts zu mosern; maximal an manchem Zeichenstrich, der etwas ungenau wirkt, aber das kann dann wieder der Aufforderung zugeschrieben werden, dort selbst etwas vorzunehmen. Und die Motive sind flankiert von Erklärungen, die sich zwar an Kinder richten, aber in vielen Fällen eben auch für Ex-Kinder aufschlussreich sind.
Das Braunschweig-Malbuch ist ein überraschend sympathisches Werk geworden, das erste Bedenken schnellstens zerstreut. Und auch ohne bunte Stifte funktioniert.