Von Matthias Bosenick (09.05.2023)
Die Beatles, ganz klar, vom ersten Ton an, und zwar die späten Beatles, die mit den Diamanten im Himmel und den Walrössern und den Erbeerfeldern und dem Garten eines Kraken und den gelben U-Booten, sind nicht nur die Inspiration, sondern die Ausgangslage für ein Album, auf dem zwei Musiker den Sound der psychedelischen Fab Four mit den Pilzköpfen aus Liverpool (fehlt noch ein Synonym?) im Hier und Jetzt zu neuen Songs im Beatles-Sound generieren. Das kriegen Richard Kersten und Marcus Ghoreischian recht überzeugend hin, man hört die typischen Spielweisen von John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison heraus, neu zusammengesetzt, mit Sitar, gently weeping guitar und der Aussicht auf Wings am Firmament. Die beiden Protagonisten nahmen diesen Songreigen bereits in den Nullern für sich und Freunde auf, das Label Bear Family bringt ihn jetzt als LP unter die Beatles-Fans. Solche werden daran sicherlich ihre Freude haben, und wer mit den Beatles ohnehin nix anfangen kann – nun: Der erkennt immerhin an, dass Kersten und Ghoreischian ihre Sache gut machen.
Die Harmonien, natürlich, die schütteln Kersten und Ghoreischian nur so aus den Trompetenärmeln, diese bunt schimmernden Amalgame aus vielstimmigem Gesang und Gitarrenmelodien, dann diese psychedelisch versponnene Opulenz, die Schramm-Schramm-Rhythmen, die die ganzen Indierock- und The-Bands der Nullerjahre so begierig für die Gründung ihrer langweiligen Karrieren aufgriffen, twangige Soli, nachdenkliche Mitklatsch-Lagerfeuerballaden, in den Sechzigern visionäre Soundmodulationen mitten im Song, Flötentöne, also alles, wie man es von den Beatles kennt, nur eben nicht als Coverversion, sondern als Adaption. Das Experiment gelingt den beiden, da gibt es nix, das kriegen sie saugut hin, zu klingen, als wären noch alle vier am Leben und kämen eben erst mit diesem Album aus dem Studio heraus.
Was natürlich vermessen ist: Es steht sehr zu erwarten, dass alle vier heute zusammen eine komplett andere Musik machen würden. Allein angesichts der Tatsache, wie stark sie sich in nur einer Dekade ihrer Existenz veränderten, dürfte dies nach fünf weiteren noch erheblicher ausfallen. Der rauhbeinige Rock’n’Roll fehlt hier beispielsweise, den die Beatles gelegentlich von der Mersey (die Leine fließt woanders) ließen, auch in den späteren Jahren noch. Mehr Electro wäre denkbar, siehe The Fireman, das Projekt, das Paul McCartney mit Youth von Killing Joke betreibt; nach den Beatles der späten Sechziger klingt das nicht, auch nicht nach den Wings. „Sippin‘ Lemonade In The Sunshine“ ist also ein Wunschtraum, den sich die beiden Musiker hier erfüllen, und das dürfen sie sehr gern und machen sie ja auch gut.
Und ursprünglich gar nicht für die große Öffentlichkeit: Nachdem sich Kersten als Mitglied der Beatles Revival Band vom reinen Nachspielen gelangweilt sah, unterbreitete er seinem Kumpel Ghoreischian die Idee, quasi eigene Beatles-Songs aufzunehmen, und da der ein Studio besitzt und die vier Liverpudlians ebenfalls sehr schätzt, kamen auf diese Weise bereits 2005 und 2006 diese elf Songs heraus, die das Duo zunächst nur an Freunde weiterreichte. Bis Bear Family auf die Idee kam, dass sich damit durchaus mehr Reichweite generieren ließe. Das Album ist also doppelt retro: Bereits vor fast 20 Jahren eingespielt im Sound von vor über 50 Jahren. Nun mag man die Idee erstmal für außergewöhnlich halten – bis man kurz innehält und sich vor Augen führt, wer auf der Welt in den zurückliegenden 50 Jahren nicht alles schon Musik im Stil der Beatles veröffentlichte, sogar als Grundlage für die eigene Karriere. Nicht erst den Britpop der Neunziger muss man dazu anführen. So konsequent und offensiv als Konzept wie Kersten und Ghoreischian, die sich dafür gern einen griffigeren Nom de Guerre hätten einfallen lassen können, war dabei indes vermutlich niemand.
Tja, und es bleibt der Umstand, dass man, kann man den Beatles einfach nichtausreichend abgewinnen, auch mit diesem Album so seine Schwierigkeiten haben wird. Die Anerkennung für die musikalische, kompositorische und adaptive Qualität bleibt, der Plattenteller aber für andere Musik freigehalten.