Reichenhall – The Hen – Iapetus Media 2025

Von Matthias Bosenick (24.07.2025)

Auf ihrem neuen Album „The Hen“ widmen sich die produktiven Experimental-Elektroniker Reichenhall aus Berlin dem Leben einer Henne, wie es der Titel bereits andeutet. Vom Schlüpfen bis zum Nachwuchs verfolgt das Quartett seine Geflügeldame, und das zuvorderst als Ambient, als Soundscapes, mit eingearbeiteten Samples und Effekten, die das Hühnerverhalten abbilden. Auch ohne dieses Konzept lässt sich zum chilligen „The Hen“ bestens ein Ei auf alles pellen.

Der überwiegende Teil dieser acht Tracks besteht aus atmosphärischen Soundscapes, die das Quartett anreichert, mal mit punktiert gesetzten Beats, meistens mit Samples oder mit nachempfundenen analogen Instrumenten, sogar mit textlosem Gesang. Den übrigens liefert Uschi Hugo, unter anderem von den Europa-Hörspielen der Achtziger als Nanni bekannt, später auch als manipulative Kate in Offenbarung 23.

Überwiegend Ambient, aber nicht durchgehend, denn der Auftakt „Breaking Shell“ imitiert pickend das Zerbrechen einer Eierschale im Gewand alter Kraftwerk-Tracks, man könnte sagen: Trans Hühnerstall Express. Diese rhythmische Stringenz lässt das Quartett danach weitgehend fallen. Bereits das Titelstück ist lediglich mit einem langsamen, lediglich angedeuteten und stark gebrochenen Off-Beat ausgestattet, dazu experimentell mit obskuren Details versetzt. Und erstmals der Stimme. Der Track klingt wie ein unbeholfener Hühnergang.

Die Beats treten fortan mehr und mehr zurück, im dreizehnminütigen „Cluck Voodoo“ setzen sie erst nach der Hälfte ein, schluffig nur, als Begleitung sanfter Atmosphären, die das zuvor karge, leere Stück ablösen, in dem sich gelegentlich ein Cello oder ein Tasteninstrument verirrten. Spätestens, wenn Uschi Hugo wieder ansetzt, bekommt der Gesamtsound eine Ahnung von The Orb. Aus Beats werden in „Do Not Wake A Sandworm“ rhythmisches Klicken und Glitches vor chilligen Soundscapes, die in „Infrared Pecking Order“ sogar noch verschwinden, um Synthie-Spielereien Platz zu machen, die wahrhaftig nach Picken und Gackern klingen. Erst später setzen wieder dezidierte Beats und Blubbern ein.

Gänzlich unerwartet startet „Coagulated Light“ mit Ethno-Samples, also Tribal-Percussion und Gesängen, setzt sich dann aber mit repetitiven Soundscapes, punktierten Beats und eingearbeiteten Samples fort. Erst „Brooding Circuit“ hat wieder einen durchgehenden Beat, wenn auch einen dem Genre Ambient angemessenen langsamen, zudem einen gebrochenen, der indes bisweilen an Industrial erinnert. Die Sphären und Samples bekommen hier Streicher an die Seite gestellt. Irgendwo kräht ein Hahn im Hintergrund, echt. Zuletzt pulsiert in „Yolk Of Cosmos“ ein Synthie zu den Soundscapes. Der Kreis ist geschlossen, aus dem frischen Eigelb wird dereinst ein neues Küken schlüpfen.

Die Besetzung von Reichenhall ist auf diesem 13. Album in lediglich drei Jahren geblieben: Bernhard Wöstheinrich mit Sequencern, Keyboards und Synthesizern, Lukas Radiomodul: mit der Loopmachine, Mathieu Sylvestre bearbeitet mit Looper und Electronics die Sounds in Echtzeit und Volker Lankow sorgt für Soundscapes und Loops. Bei dem Tempo dürfte kommenden Mittwoch das nächste Album von Reichenhall im Nest liegen. Vermutlich brüten die vier ihre Musik unter einer Infrarotlampe aus.