Red Lorry Yellow Lorry – Strange Kind Of Paradise – ALI!VE/COP International 2025

Von Guido Dörheide (27.07.2025)

Hier ist mir jetzt der Herausgeber zuvorgekommen und mit allem, was er schreibt, hat er Recht und spricht er wahr, aber gestatten Sie mir, treue Leserinnen und Leser, dennoch einige autobiografisch eingefärbte Anmerkungen zur aktuellen Veröffentlichung von Chris Reeds Red Lorry Yellow Lorry, einem der Urgesteine der UK-britischen Postpunkgothrockgemengelage. Und ich schwöre, ich schreibe nichts zur Musik auf dem neuen Album, auf dem Chris Reed das wunderbare Gefühl, das seit „Talk About The Weather“ (1985) beim Hören eines jeden neuen Albums der Lorries entsteht, nochmal aufs Wunderbarste Paroli laufen lässt. Das hat Herr Van Bauseneick schon getan und ich möchte den Lesenden hier gerne Bock machen, die geile Review zu lesen (hier bitte Link einfügen, Matze!). [Hab ich gemacht, danke, Guido! Ohne dich hätte ich diese Band überhaupt erst viel später entdeckt. M.]

Alsdann also, gehen wir es an: Irgendwann in den frühen 90ern sah ich Chris Reed im Knesebecker Hof live, es war eins von diesen Ereignissen, die man sich damals auch dann nicht entgehen ließ, wenn man vom Künstler noch nie etwas gehört hatte, ich hörte nur, dass der irgendwie mit Red Lorry Yellow Lorry wohl irgendwie auch legendär oder irgendwas wäre, fand das Konzert unheimlich gut und hörte dann auf einem Sampler bei meinem Bekannten Kai einen Song namens „This Is Energy“. Und der war von Red Lorry Yellow Lorry, und das Album mit diesem Song drauf wollte ich haben. Glücklicherweise fand einige Tage später meine Musterung im Kreiswehrersatzamt (warum die Kreiswehr eines Ersatzes bedürfe und warum genau zu diesem Behufe ein eigenes Amt eingerichtet wurde, war mir schleierhaft, was aber vollkommen wurscht ist, denn mittlerweile gibt es dieses Amt nicht mehr, es war damals auf jeden Fall in der Grünewaldstraße beheimatet) Braunschweig statt und ich entnahm der Schatulle ein Barvermögen von 30 Mark, um mir, wenn ich denn schon einmal in Braunschweig war, im örtlichen MediaMarkt ein Exemplar von „Blasting Off“, so hieß das RLYL-Album, das „This Is Energy“ enthielt, zu erstehen. Zu der besagten Musterung brachte ich ein handgeschriebenes Exemplar meiner Erklärung der Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe (O-Ton mein Vadder: „Wo hast Du denn den Scheiß abgeschrieben?“ – Danke dafür, Oida, ich hatte es in der Tat nicht abgeschrieben, mich aber von der Verweigerung unseres Lübener Dorfpazifisten inspirieren lassen (danke nochmal, Kuddel!)) mit, was weissagungsgemäß dazu führte, dass mir der diensthabende Militärmedizinalrat den Tauglichkeitsgrad T3 verpasste und mich also für wehrtauglich befand. Einem Felix Krull wäre das nicht passiert, zugegebenermaßen sah ich aber auch nie so gut aus wie dieser und wollte ja auch gar nicht ausgemustert werden. Zivildienst war OK, hat Spaß gemacht und zu allem Überfluss trug mein Zivildienstausweis dieselbe Nummer (außer dem Geburtstag am Anfang) wie der Wehrdienstausweis meines Herausgebers van Bauseneick. Und genauso halten wir es heuer mit den Autokennzeichen: Alles identisch, nur einmal mit BS und einmal mit CLZ. Aber ich schweife ab.

„Blasting Off“ hat mich damals sehr enttäuscht, „This Is Energy“ war tatsächlich das einzige Stück, das mich von den Socken haute. Und der Drumcomputer kam irgendwie auch nicht an seine Kollegen Doctor Avalanche und das Teil von The Cassandra Complex heran. Dennoch gefiel mir Chris Rees Gesang, also ging ich bei und kaufte mir das Frühwerk von RLYL in Gestalt von „Talk About The Weather“, „Paint Your Wagon“ und „The Singles 1982 – 87“ zusammen. Lernte Singles wie „Monkey’s On Juice“ lieben und wurde zum Fan.

Danach habe ich mich jahrzehntelang nicht mehr mit den Lorries beschäftigt und wurde nun gewahr, dass es ein neues Album gäbe. Mich fragend, was ich wohl in den letzten Jahrzehnten verpasst haben würde, stellte ich fest, dass „Strange Kind Of Paradise“ tatsächlich der direkte Nachfolger von „Blasting Off“ ist. Und wie viel besser als das 1991er Werk ist nun das neue! Chris Reed schafft es, den Zauber der Lorries-Alben aus den 1980er-Jahren in die 2025er Neuzeit hinüberzuretten, seine Stimme hat immer noch dieselbe Hypnosewirkung wie damals (und wie auf den nach „Blasting Off“ veröffentlichten Solowerken mit Chris Reed Unit und Chris Reed’s Woof!), die Musik ist besser als 1991, das Schlagzeug wird von einem Menschen bedient und alles ist gewaltig. Mächtig gewaltig sogar. Wenn einer Reed oder Reid heißt, ist der Rock’n’Roll automatisch mit bei (Lou, Chris, Vernon oder die Brüder Jim und William beziehungsweise die Zwillinge Charlie und Craig) – danke, Red Lorry Yellow Lorry für dieses großartige wohl letzte Werk einer großartigen Band.