Von Matthias Bosenick (02.12.2014)
Ein weiterer Fall, an dem man als Davongeschrittener überprüfen kann, inwieweit man den Zurückgelassenen mach einiger Zeit wieder folgen kann: Die Elektro-Mittelalterer Qntal veröffentlichen nach sechs Jahren Pause ihr siebtes Album. Jenem ging ein gewisser kreativer Stillstand voraus, mit der Konsequenz, dass auch die Band dies bemerkte und sich von Keyboarder Philipp Groth alias Fil trennte. Mit dessen Nachfolger Leon Rodt soll nun alles besser werden. Festzustellen ist, dass „VII“ kompakter und schlüssiger ausfällt als die Vorgänger. Damit einher geht jedoch ein Übermaß an Poppigkeit, das die anspruchsvolleren experimentellen Passagen überlagert.
Das musikalische Mittelalter in gegenwärtiger Form kann manchmal ganz schön nerven. In eine andere Richtung drängten Michael Popp und Sigrid Hausen das finstere Zeitalter vor 22 Jahren, nämlich in eine elektronische. Damit umgingen sie die Diskussion darum, wie authentisch die Nachspielungen sind; anders als bei ihrem Hauptprojekt Estampie, das ausdrücklich versucht, die mittelalterliche Musik so zu spielen, wie sie seinerzeit nach aktuellem Forschungsstand geklungen haben mag. Nichts desto trotz verwenden Qntal auch immer historisches Instrumentarium wie Schalmei, Laute und ähnliches. Das ist auch gut so, denn, seien wir mal ehrlich: Ohne diese Elemente unterschiede sich die Musik nur wenig von der eines beliebigen Synthiepoppers. Den allergrößten Unterschied macht natürlich der Gesang, den hauptsächlich Sigrid Hausen alias Syrah liefert. Mit ihrem Mezzosporan intoniert sie überwiegend historische Texte aus dem Mittelalter; den Ausflug in die Renaissance wie noch zuvor unterlässt die Band auf „VII“.
Dafür verlagert sie sich auf den Pop, auf den Tanzflur, latent auf den Schlager. Zum Eingang bedient „VII“ massiv radiogeschulte Hörgewohnheiten. Gelegentlich sind leichte Synthieeffekte eingestreut, wie sie Fil seinerzeit mitgebracht hatte, jene mit einem latenten Industrial-Geschmack. So richtig überraschend ist das aber nicht. Erst ab der Hälfte integrieren Qntal einige akustische Wagnisse. Das „Frühlingslied“ aus der Carmina Burana fährt Gitarrensounds auf, die das Stück vergleichsweise heavy erscheinen lassen. Dazu passt Syrahs Stimme vortrefflich. Breakbeats gibt es auf „In dem Begyn“ von Meister Eckhart, ein Orchestersample reichert das im Enigma-Rhythmus gehaltene „Melos Lacrimosum“ eines anonymen Autoren aus Frankreich an. Jener Song ist bereits der erste von zwei Bonus Tracks der limitierten Erstauflage. Der zweite, „Nox Aeterna“, ist beinahe der beste Track des Albums. Dabei handelt es sich um einen Remix des Albumtracks „Schnee“, dessen Text von Markus Heitz stammt, einem Thriller- und Fantasyautor, den man wohl nur dann kennt, wenn man sich in jener Szene auskennt. Der blutige Text passt aber gut zu Qntal. Und die Musik des Mixes ist dicht am EBM, hält aber dennoch die schönen Flächen von Qntal aufrecht und fügt sogar eine Gitarre ein.
Insgesamt sind dies zu wenige Songs, die hängen bleiben und die man sich dauerhaft gerne anhört. Besser als die Vorgänger „VI – Translucida“ und „V – Silver Swan“ sind sie immerhin. Und doch, früher, als noch alles aus Holz war, boten Qntal deutlich mehr Überraschungen. Sicher, früher war diese Art Musik einfach noch neu. Doch hat das Debüt deutlich mehr Langzeitwirkung als jedes andere Album der Band. Die ersten beiden Alben entstanden noch als Nebenprojekt von Deine Lakaien und Estampie. Seinerzeit war Ernst Horn noch maßgeblich für den Sound verantwortlich, das war zu einer Zeit, als auch die Lakaien noch experimenteller waren. „Ad mortem festinamus“ lief noch viele Jahre später in Grufticlubs, einem fast industrial-artigen „Black Death“ stand das extrem zarte „Unter der Linden“ gegenüber. Auch das „Palästinalied“ von „II“ ist ein dauerhafter Clubhit. Danach zerstritten sich Horn und Popp. Horn hob Helium Vola mit gleicher kreativer Ausrichtung als Quasi-Konkurrenzprojekt aus der Taufe, Popp holte Fil zu Qntal. Beide Projekte eint, dass sie über die Jahre begannen, den Hörer zu langweilen. Doch zunächst war es noch anders. Auf „III – Tristan und Isolde“ feierte Fil fröhlichen Einstand und lieferte mit „Ecce Gratum“ einen schwindelerregenden Tanzflächenhit. Sein Sound zeichnete sich durch eine gewisse Weichheit aus. Seine Snares zog er glatt, seine Sounds waren sanft. Lediglich gelegentlich schon er dem Hörer satte, knackige Beats unter. Schon auf „IV – Ozymandias“ wich die elektronische Härte weitestgehend einer zumindest angenehmen Entspannung, die noch nicht so glattpoliert war. Nicht so sehr wie „V – Silver Swan“ und „VI – Translucida“, die in ihrer Opulenz stark an kitschige Filmsoundtracks erinnerten. Trotz vereinzelter Uptemponummern. So bleibt „VII“ dieser Linie zwar einigermaßen treu, holt aber gottlob im Einzelfall das Experiment zurück. Davon könnte es deutlich mehr geben, um der Beliebigkeit und vorzubeugen. Und einem Desinteresse alter Begleiter.
Interessant ist überdies ein Blick ins Booklet. Dort sind Michael Popp, Syrah und Mariko alias Sarah Newman als Band aufgelistet, Leon Rodt taucht lediglich in den Credits auf. Die wiederum lassen den Lesenden den Kopf schütteln: Neben der verständlichen Danksagung an die Fotografin sind auch die Zuständigen für Haar und Make-Up, Schmuck und Kostümdesign aufgeführt. Nun, es ist eben nicht mehr so einfach, ein neues Album zu finanzieren. Übrigens wirbt ein Sticker auf dem Digipak für den Exklusiven „Schnee“-Track von Markus Heitz – nirgendwo ist indes erwähnt, dass Schriftzug und Logo des Covers im Dunkeln leuchten. Das ist doch mal ein nettes Gimmick.