Puppengott – Diamanten II/Ich verzeihe niemals – Xchnum Miiimiiikry 2023/2024

Von Matthias Bosenick (25.11.2024)

Sich in die Abgründe von Jonas Kolb zu begeben, stellt ein zusehends größeres Wagnis dar, je weiter er sich künstlerisch voranwagt. Sein aktuell bevorzugtes Alias ist Puppengott, als dieser veröffentlichte er vor einem Jahr die Kassette „Diamanten II“ und ganz frisch die CD „Ich verzeihe nie“. In Genreschubladen lässt sich der Schöninger schon ewig nicht mehr stecken: Irgendwo klebt noch das Etikett Black Metal, doch verschwindet der harsche Gitarrenlärm zugunsten von Dark Ambient, Shoegaze, Soundscapes, Industrial und hörbuchartigen Horrorgeschichten voller Blut und anderer Körperflüssigkeiten. Damit entfernt sich sein Alias immer weiter vom Charakter der Person – so möchte man jedenfalls hoffen!

Das Tape „Diamanten II“ birgt satte 19 Tracks in einer guten Stunde Spielzeit. Überwiegend sind die Sounds hier zunächst elektronisch gehalten, Dunkelheit liegt über allem, und erst der neunte Track „Der Stall“ lässt sich tatsächlich in die alte Kategorie Black Metal einsortieren. „Papst Xchnum II“ an elfter Stelle ebenfalls, dann war es das mit den Schreddergitarren. In „The Scent“ wagt sich Kolb sogar kurzzeitig an Drum And Bass heran, ansonsten bleibt er kalt, minimalistisch, leer, in den Grundlagen bisweilen gar schön, zumindest die Sounds betreffend, an anderer Stelle wiederum ausnehmend harsch.

Und das sind nur die Sounds – inhaltlich sollten Zartbesaitete nicht allzu deutlich hinhören. Manche Titel verraten bereits Absurditäten – etwa „Oink, oink! Mama, geh weg!“ –, andere geben die Gemütslage wieder – „Kohlrabenschwarz“. Doch unter manch unschuldiger Oberfläche lauern Gruselstücke, oder noch ärger: Widerlichkeiten. Das achtminütige „A Visitor“ stellt da den wohl tiefsten Abgrund dar. Mit „D.O.L.L.G.O.D.“ und „Ich akzeptiere diese Puppe als meinen Gott“ offenbart Kolb die für ihn charakteristischen Auseinandersetzungen mit Glauben und Religion, familiäre Prägungen sind ein weiteres wiederkehrendes Sujet.

Das ein Jahr später, also jetzt gerade, herausgebrachte „Ich verzeihe niemals“ vertieft einzelne Aspekte. „Mama blutet“ etwa den mit der dysfunktionalen Familie, von „Ich akzeptiere diese Puppe als meinen Gott“ gibt es einen industrial-artigen Remix. Das Thema Religion bekommt hier zudem eine Erweiterung vom Christentum auf den Islam, was sich auch im Artwork erkennen lässt. Insgesamt ist das Album nur halb so lang wie das vorhergehende und bietet auch lediglich sieben Tracks, doch lässt Kolb hier eben seinen Atmosphären mehr Raum. So beginnt er den Reigen mit Shoegaze-Soundscapes in „Lammfromm“ und fährt in „Dschahannam“ die kalten Black-Metal-Gitarren in den Hintergrund, um sein eigenes Keifen und das Weinen einer Frauenstimme zu begleiten. Zumeist keift Kolb jedoch nicht, sondern sprechsingt in einer Stimmlage, der eine starke Verzweiflung anzuhören ist.

Auch wenn der Puppengott wie zuvor Xchnum Miiimiiikry und Machyyre Kolbs Solo-Projekte sind, öffnet Kolb sein Studio gern für Gäste. Am Titeltrack „Ich verzeihe nie“ etwa ist Marc Domin sprechend beteiligt, die Credits von „Dianamnten II“ listen noch Features von Ami-Bique, MVH und Jeanie auf. Sie alle helfen, den bösartig-gruftigen Eindruck zu verstärken, der von Kolbs Musik ausgeht. Der ideale Soundtrack für Depressive, Pessimisten und Verzweifler.

Interessant ist die seine Musik begleitende optische Selbstdarstellung. Kolb inszeniert sich in Social Media und auf den Covern als blutig geschminkter Vollbärtiger, bisweilen mit Fetisch-Accessoires und einem in diesem Kontext verstörenden Grinsen. Die malträtierten Puppen, als deren Gott er sich darstellt, sind ein passendes Beiwerk. Dabei ist er doch so nett!