Von Matthias Bosenick (10.05.2022)
Hat sie jemand vermisst? Die zurückliegenden neun Jahre kam man eigentlich auch ganz gut ohne Placebo aus, oder? Man hat ihnen über Jahre hinweg dabei zugehört, wie sie die Idee von Indierock in den Alternative Rock überführten, ihn also vereinfachten und kommerzialisierten. Das gelang ihnen ganz gut, immerhin schmuggelten Placebo auf diese Weise unbequeme Themen in die Charts, über das Leben als Nichtheteromensch, über Drogen, über Lebensmüdigkeit, nur eben alles unterfüttert mit einer vergleichsweise einfachen Rockmusik und vorgetragen von einer Stimme, die sich in die Gehörgänge bohrt, was manchmal schmerzhaft ist. Auf „Never Let Me Go“ sind Brian Molko und Stefan Olsdahl nurmehr ein Duo, wie weiland 1992, als das alles losging. Nun sind sie also wieder da, und es bleibt festzustellen, dass sie die auch musikalische Relevanz von vor 20 Jahren trotz beachtlicher Einfälle nicht beibehalten werden: „Never Let Me Go“ ist ganz nett. Nicht mehr.
Synthetische Elemente schleichen sich in den Rocksound, was nicht neu ist für Placebo, nur hier bisweilen recht deutlich im Vordergrund wahrzunehmen ist. Die zwei gebuchten Drummer machen ihren Job, mehr nicht; das Schlagzeug verliert damit die Möglichkeit, Rocksongs mit einer eigenen Marke anzureichern. Es ist halt nur ein funktionaler Job, keine kreative Verbundenheit. Diesen Job machen hier Mathew „Matt“ Lunn von Colour Of Fire und Honeytone Cody, der den für die Solokarriere abgehauenen Steve Forrest bereits seit 2015 live ersetzte, sowie Pietro Garrone von Husky Loops, und sie machen ihn sehr gut, das auf jeden Fall; sachdienlich, könnte man sagen. Im repetetiven „Surrounded By Spies“ darf es auch mal zur Sache gehen.
Die 13 Songs decken im Grunde alles ab, was man von Placebo bereits kennt, Balladen, Powerpop, Powerrock. Molkos Art zu singen bleibt bei, manchmal durchdringend, manchmal quäkend, manchmal weinerlich, manchmal kraftvoll, manchmal mit sich selbst im Hintergrund; seine Melodien indes kennt man bereits, das macht die neuen Songs schwer wiedererkennbar. Molko und Olsdahl wissen dafür aber Atmosphären zu generieren, integrieren auch mal modernere Elemente wie die flirrenden Postrock-Gitarren in „Happy Birthday In The Sky“, das strukturell ohnehin das bemerkenswerteste Stück auf dem Album ist. Keyboardzirpen, Streichersamples, kantige Gitarreneffekte, alles ist drin und sorgt auch mal für Aha-Effekte, und doch: So richtig einfallsreich sind die neuen Songs nicht.
Da gibt es andere Indierockbands, die über die Jahre an Massenaufmerksamkeit einbüßten, die trotzdem einfach weitermachen, kreativ bleiben, Platte um Platte rauswerfen, sich erneuern, Wagnisse eingehen und sich damit eine stabile Fanbasis abseits des Mainstreams erarbeiten. New Model Army und die Manic Street Preachers fallen einem da ein. Und es gibt Placebo, bei denen offenbar ein Erfolgsdruck zu weit im Nacken sitzt, um wirklich mal zu überraschen. Immerhin, „Never Let Me Go“ ist homogener als „Loud Like Love“, das Album davor, das dafür aber mehr wiedererkennbare Songs hatte.
Es ist schon merkwürdig mit Placebo. Beim Erstkontakt damals, mit dem zweiten Album „Without You I’m Nothing“, wechselten sich Scheißlieder und Knaller ab, bis man zum Ende des Albums trotzdem den Eindruck von vorwiegend guter Musik hatte und sich intensiv mit dem Trio befasste. Wenn selbst David Bowie die Band dadurch adelte, dass er das Titelstück neu mitsang! Dann kamen die Indie-Disco-Granaten wie „Taste In Men“, „Special K“ und „Slave To The Wage“ auf „Black Market Music“ und man fühlte sich bestätigt. Auf „Sleeping With Ghosts“ ging es eigentlich schon damit los, dass Placebo ihre Rezeptur vereinfachten und Wiederholungen bevorzugten. Auf „Meds“ ebenso. Auf „Battle For The Sun“ stachen dann doch noch mal Songs hervor, etwa „Ashtray Heart“ oder das Titelstück, auf „Loud Like Love“ war es „Rob The Bank“, und jetzt, ja, was man hört, meint man bereits zu kennen. Ist ja nett, dass Placebo wieder da sind. Eine Überraschung ist das Album dazu trotz bemerkenswerter Momente aber nicht. Es geht nicht voran, es ist ein Stillstand. Darüber täuscht auch nicht die D-Box mit den bunten Karten nicht hinweg. Indierock ist eben doch noch etwas anderes als das hier.