Phillip Boa And The Voodooclub – Hair Re-Edition 2025 – Capitol Records 2025

Von Matthias Bosenick (21.05.2025)

Jetzt macht der das schon wieder! Zum wiederholten Male versteckt Phillip Boa ein neues Studioalbum in der wiederholten Wiederveröffentlichung eines alten Studioalbums. Wer „The Honeymoon Files“ in seine Sammlung stellen möchte, muss dafür die drölfte Version von „Hair“ erwerben. Und das mit verdrehter und ausgetauschter Trackliste, was kein Sammler braucht. Die je nach Edition zehn bis zwölf neuen Songs sind nett, aber harmlos, also weit weg von der Radikalität, die Boa zu Zeiten von „Hair“ Ende der Achtziger noch hatte, als er Pop und Avantgarde zu einem mitreißenden, aufrüttelnden Indie-Gemisch zusammenfügte. Als reguläres neues Alterswerk wäre „The Honeymoon Files“ vermutlich nicht verkehrt, aber da Boa es in direkte Abhängigkeit zu „Hair“ stellt, fallen die weichlichen Unterschiede eben ins Ohr.

„Größtenteils harmlos“ fällt einem ein, wenn man „The Honeymoon Files“ hört. Nimmt man „Hair“ zum Vergleich: Eine Uptempo-Indierock-Hymne wie „Container Love“, eine Metal-Pastiche wie „Albert Is A Headbanger“ oder eine frickelig-verspielte Wave-Nummer wie „Fine Art In Silver“ legen die Messlatte hoch für das, was man als Album im Sinne von diesem erwartet. Spoiler: und nicht bekommt.

Ja, die Melodien sind schön, insbesondere der zweistimmige Gesang, der ja seit Jahren wieder ohne Pia Lund auskommen muss, aber dennoch angenehm passt. Doch sind die zehn Songs der CD so glatt und schmeichelnd eingespielt, dass sie das Gegenstück zu dem darstellen, was Boa vor 40 Jahren initiierte, nämlich das Aufbrechen und Umdeuten des Pop mit radikalen Mitteln. Im Grunde bilden „The Honeymoon Files“ das ab, wogegen sich Boa damals stemmte – da beißt sich die Katze in den Schwanz, es müssten heute junge Leute her, die gegen solche Musik rebellieren. Boa ist natürlich älter geworden, genau wie seine Gefolgschaft von damals, und hätte er das neue Album eben genau so etikettiert und für sich herausgebracht, wäre das Urteil möglicherweise so milde ausgefallen wie die Musik hier. Aber angesichts der Umstände – nur als Bonus zu altem Album, altes Album unvollständig, direkter Bezug zu altem Album – kackt das neue Album nur ab.

Gehen wir einmal durch: Die flotte Single „When The Sidewalk Ends“ hat einen netten Offbeat, „No Is The Answer To This Madness“ schwenkt auf Discofox und ist noch harmloser. „Carly“ ist eine nette Pianoballade. In „Nero Nero“ dominieren Achtziger-Synthies, es gibt erneut einen Offbeat zu hören, insbesondere mit dem zweistimmigen Refrain ist dies ein netter Popsong. Ebenso „Endearing“, ein netter Sommersong. Ein erstes Bratzen hört man in „Millions Of Light Years“, abermals eine Ballade, die aber mit ruppigen Sounds Aufmerksamkeit erregt. Da ist die Hälfte des Albums schon um. Jetzt wird’s aber kurzzeitig interessanter: „The End Of The 80’s“ ist ein Space-Disco-Song wie von Amanda Lear, in den eine wavige Western-Gitarre eingebaut ist. Das selbstreferenzielle „We Are The Voodoo People“, nicht bei The Prodigy abgeguckt, ist ein langsamer, aber düsterer Electro-Track mit hübschem Refrain und fuzzy Solo. Dann kommt abschließend zweimal Kirchentag: Die „Poolside Memories“ basieren auf der Akustikgitarre und einem unterschwellig lateinamerikanischen Rhythmus, „The Pharaoh Song“ ist ein hippiesker Midtempo-Radiopop mit Shaker und Streichern.

Nett ist hier sehr nah dran an der kleinen Schwester von Scheiße, obwohl die Musik wahrhaftig nett ist. Ungefähr so nett wie die auf den fünf neuen Songs der letztjährigen „Copperfield“-Rererewiederveröffentlichung oder die auf dem Bonus-Album „The Porcelaine Files“, das es kurz davor lediglich als Dreingabe der drölften Wiederveröffentlichung von „Boaphenia“ gab. Anhand der Titel lässt sich ausmachen, dass es da noch weitere Files zu erwarten gibt, nun, Boa hat ja auch noch haufenweise Alben wiederzuveröffentlichen. Oder besser nicht.

Denn das ist das nächste Ärgernis an dieser „Hair“-Version: Die Ur-Vinyl-Version hatte 13 Songs, die limitierte Version mit der Bonus-12“ fünf weitere, also hätten wir da schon mal 18 Songs. Die CD-Version hat zwar auch 18 Songs, allerdings mit „Annlie Flies The Love Bomber“ statt „I’m No Longer Out Of Luck“, also bereits 1989 mit Verarschung. Die 2006er-CD-Version von „Hair“ beinhaltet die 13 Songs der Ur-LP plus neun weitere Songs, die weder die fünf Bonus-Songs der limitierten LP noch die der ersten CD-Auflage vollständig abdecken. Dafür sind jetzt „Annie Flies The Love Bomber“ und „Merry My Mind“ Teil der regulären „Hair“-Version, die indes aus lediglich zwölf Songs besteht, also weniger als im Original – das kurze Intro „Hurray“ fehlt“ – sowie andere und in anderer Reihenfolge: „Morlocks In England“ und „Boleria“ mussten nämlich weichen.

Aber man kann ja noch die überteuerte Box kaufen, mit der neuen „Hair“ und „The Honeymoon Files“ sowie dem wahrhaftig interessanten Dokument „Live Exile Ost-Berlin 1989“ sowie der vierten CD „Bonus Tracks: Rare Sounds And Outtakes“ mit 17 Songs – und einer 10“ mit zwei weiteren neuen Studio-Songs, darunter einer alternativen Version von „Nero Nero“, sowie drei Livesongs. Wer Boa vollständig haben will, ist seit 40 Jahren gezwungen, allerlei Kram hinterherzulaufen und viel, viel Geld zu investieren. Und schafft es trotzdem nie. Naja: Das neue Cover von „Hair“ ist sehr gelungen, mit der Feder auf schwarzem Grund.