Von Matthias Bosenick (11.09.2014)
Bevor es an die wie eh und je ausgesprochen gute Musik geht, stellt sich eine andere Frage, die in Bezug auf Boa leider ebenfalls mit dem Attribut „wie eh und je“ verknüpft ist: Welche Vorstellungen hat der Dortmunder vom Format Musikalbum? Wenn der Fan die Deluxe-Version des neuen Albums kauft, bekommt er eine Bonus-CD mit acht weiteren Stücken und eine Live-DVD dazu – das Haupt-Album hat aber drei Lieder weniger als die Digipak-Einzel-CD. Man kann natürlich wohlwollend feststellen, dass der Künstler recht freigiebig mit seinem Ideenreichtum umgeht, andererseits wirkt die Auswahl seiner Stücke auf den Alben dadurch beliebig. Unabhängig davon schreibt Boa einfach tolle Songs, zwischen Hymne und Rockbrett, was „Bleach House“ verlustfrei in die nicht abreißende Reihe der seit 2000 wieder guten Boa-Alben einfügt. Ein Wermutstropfen: Obwohl sie als Autorin im Booklet noch vereinzelt auftaucht, ist Pia Lund nicht mehr dabei.
„When we are asked: Where are you from? We say: from Dortmund, and we are proud of it“, sagt der Wahl-Malteser Boa nachdrücklich in „Beatsey Youth“. Der Spagat zwischen Mittelmeer und Pott ist in Boas Werk fast so alt wie der zwischen Indielärm und Pop. Er kann beides, auch auf „Bleach House“. Es ist in der Tat faszinierend, wie es ihm wieder gelingt, dass einem die neuen Songs nach nur wenigen Durchläufen vorkommen wie alte Vertraute. Mitgrölchöre, Mitshoutshouts, Mitsingsongs, Ohrwürmer galore, und das gleichsam mit sägenden Gitarren und harmonischen Arrangements. Immer wieder dringt auch der Sound der 80er durch, als noch repetetive und holprige Drumpatterns die Stücke durchbrachen, etwa im auch per Titel an die 80er gemahnenden „Snake Plissken“. Gut, man könnte sagen: Viele der neuen Ideen stammen bereits von älteren Platten, aber lieber von eigenen als von fremden. Die stilleren Songs verlagert Boa eher auf die Bonus-CD, auf der er zudem zweimal Nirvana covert, einmal indirekt: „Molly’s Lips“ bekommt einen treibenden elektronischen Unterbau, „Jesus Wants Me For A Sunbeam“ stammt im Original von The Vaselines, die es später selbst als „Jesus Doesn’t Want Me For A Sunbeam“ neu einspielten und das Nirvana in jener Fassung auf „MTV Unplugged“ coverten; an deren Sound lehnt Boa auch seine Version an (zudem singt er „don’t“, anders als im Titel). Allein von den Songs her also ist „Bleach House“ unumwunden empfehlenswert.
Ja, schade, dass Pia Lund nicht mehr dabei ist, zum zweiten Mal. Die neue Sängerin Pris kommt wie aus dem Nichts und kann zwar besser singen als Pia, hat aber weniger Charakter. Dennoch, gut, dass wenigstens sie da ist: Boas Musik kommt mit Frauenstimme einfach besser, der Mix aus seinem und weiblichem Gesang ist etwas Besonderes. Wie es ohne ist, zeigte 1998 das etwas enttäuschende „Lord Garbage“.
Tja, und dann die übliche Verarsche mit den Bonustracks, wie leider auch seit Ewigkeiten bei Boa üblich. Da investiert man schon den doppelten Preis eines Albums in die Deluxe-Box und bekommt doch nicht alles. Zudem ist dem Presswerk der Fehler unterlaufen, die Etikettierung der beiden CDs zu verwechseln. Auch schwach ist, dass die Tracklist der DVD fehlt. Die zeigt – als erste Live-DVD von Boa überhaupt – einen Auftritt beim WDR-Rockpalast vom 22. März 2012 sowie zwei uralte TV-Performances in „Schmidteinander“ sowie der vergessenen Show „Gut drauf“, die sogar ausgeblendet wurde. Die DVD ist toll, sie stammt von der Tour, auf der Boa überraschend humorvoll und publikumszugewandt war. Indes, die Kameras bringen den Routinier bisweilen aus dem Konzept, wie er einmal selbst feststellt, und das macht den alten Hasen nur noch sympathischer.
Also: Trotz der geldgeilen Machenschaften ist „Bleach House“ ein wundervolles Album für Boa-Fans. Neue wird der Alte sicher kaum finden, so ist es eben mit den alten Helden. Aber er ist für die Mitgewachsenen eine verlässliche Bank.
Tracklist der DVD:
Fine Art In Silver
Bells Of Sweetness
Drinking And Belonging To The Sea
Bohemina Life
Pretty Bay
This Is Michael
Get Terminated
Hell
Diamonds Fall
Ernest Statue
Speed
So What
I Dedicate My Soul To You
Pfirsicheisen
Container Love
Sirens From Hell
And Then She Kissed Her
Kill Your Ideals
Bonus: Deep In Velvet
Kill Your Ideals (Aus „Gut Drauf“)
And Then She Kissed Her (Aus „Schmidteinander“)