Von Matthias Boosenick (02.02.2024)
Zum zweiten Mal tun sich der New Yorker Multikünstler Peter Missing und der Berliner Industrial-Techno-Produzent Hackbert alias Bert Olke für eine EP zusammen. „Remove The Shadows“ überrascht auf allen Ebenen: das gesprochene Wort hat etwas Manisch-Beschwörendes, die Musik dazu vermengt Rock’n’Roll-Instrumentarium und Electro-Dub zu einem ausgebremsten, aber kraftvollen Industrial-Rock-Trip. Auf der B-Seite dieser digitalen Veröffentlichung erneuern sie gemeinsam den Acid House und reduzieren abschließend den Titeltrack um die Gitarren, ohne an Wucht einzubüßen. Davon darf es gern mehr geben!
Zunächst ist man gewillt, zu glauben, das Duo sample für die Erzählstimme jemanden wie Aleister Crowley oder Genesis P. Orridge, aber wer da so eindringlich predigt, ist Missing selbst. Als Unterbau errichten die beiden einen Rocksong im Off-Beat, dessen Gitarre-Bass-Schlagzeug-Spuren sie wellenartig auf- und abtauchen lassen, immer wieder überspült von Verfremdungen, elektronischen Flächen und dubbigen Zerlegungen. Ein schleppender Kopfnicker mit eingebauten Atempausen, die die Spannung erhöhen und die den Track nur noch weiter voranbringen.
Mit dem zweiten Track begeben sich Hackbert und Missing „Out In The Metaverse“, benannt nach einer Zeile aus dem Titeltrack, und wechseln einmal sämtliche Genres: Der Track ist dominiert von einem wahrhaft treibenden, recht harten DAF- oder EBM-artigen Technobeat, den typische blubbernde Acid-House-Roland-303-Sounds begleiten. Auch hier spricht Missing, aber zurückhaltender, verzerrter, murmelnder, also noch verschwörerischer. Man sieht sich selbst in einem Club vor Stroboskopflackern inmitten ausgelassener, gleichsam introvertierter Leute sich dem Treiben hingeben.
Als drittes serviert das Duo den Titeltrack erneut, nur als „Minimal Version“. Bedeutet: Die Bandsounds sind raus, also die Gitarre vornehmlich, dafür knallt das organische, um synthetische Handclaps ergänzte Schlagzeug heftiger und die Dub-Effekte rücken in den Vordergrund. Die Stimme sowieso, die sich mal klar, mal digital verfremdet an die Gemeinde richtet. Alle drei Tracks strotzen vor Kraft, der erste und dritte unterstreichen ihre Wucht mit Langsamkeit, der mittlere mit Tempo. Die ganze EP lässt sich so angenehm nirgendwo eindeutig zuordnen, die Referenzen sind mannigfaltig, Missing und Olke bedienen sich, wo sie Lust haben; Throbbing Gristle klingen an, die Dub-Experimente von Killing Joke, manche Remixe von Pigface, in mittleren Track der Acid House der Achtziger und die modernisierten Frühformen elektronischer Körpermusik – die „Remove The Shadows“-EP ist eine Schatzkiste.
Ihre erste gemeinsame EP „Redirect“ veröffentlichten Peter Missing und Hackbert Ende 2021. Missing heißt eigentlich Colangelo, kam 1953 in New York zur Welt und gründete in den Achtzigern in Hamburg das Industrial-Projekt Missing Foundation, das sein Debüt „Frontline 2185“ 1984 in Kooperation mit KMFDM aufnahm, das sagt einiges. Auch als bildender Künstler ist er weltweit gefragt. Hackbert ist das Alias von Bert Olke, auch aktiv als B. Ashra oder Robert Templa sowie Betreiber des Labels Klangwirkstoff und des Sublabels Separated Beats, auf dem diese EP erscheint. Die ist rund 23 Minuten lang bei nur drei Tracks, aber trotzdem gefühlt zu kurz, kann man ja nochmal anmachen dann. Und man hat noch lang Missings erste und letzte Worte im Ohr: „Tao, Tao“, was etwas klingt wie „Ciao“ und hoffentlich gemeint ist wie „auf Wiedersehen“.