Von Guido Dörheide (16.05.2025) Seit nunmehr fast genau 16 Jahren bin ich Fan von Peter Doherty und seiner Musik – vorher war er mir tatsächlich nur bekannt als der in extrem hohen Dosen (also wie zum Beispiel diese Uludağ-Gazoz-Dosen, die deutlich höher als breit sind) harte Drogen konsumierende Lebensabschnittsbegleiter des bekannten Mannequins Kate Moss, von den Libertines hatte ich zum damaligen Zeitpunkt noch nie was gehört und alles, was ich über Peter (damals noch „Pete“) Doherty las, stieß mich in hohem Maße ab.
Dann – es muss irgendwann im März 2009 gewesen sein – las ich einen Magazinartikel über „Grace/Wastelands“, Dohertys Solo-Debüt, und was ich dort las, machte mich glauben, dass ich dieses Album wohl sehr gut finden würde, wenn ich es denn einmal hören würde (zweimal „würde“ in einem Satz, und das nach Harry Rowohlts Ausspruch „Nach ‚wenn‘ nie ‚würde‘, außer in ‚Wenn Würde töten könnte.‘“, ich fange den Satz also besser nochmal an.) Und was ich dort las, machte mich glauben, dass ich dieses Album wohl sehr gut fände, wenn ich es nur einmal hörte. Besser? Nun – besser als das ohnehin schon wundervoll großartige „Grace/Wastelands“ ist auf jeden Fall Dohertys aktuelle Langspielplatte „Felt Better Alive“. Und um hier nicht mit schierem Banausentum zu glänzen, gebe ich auch gerne noch zu, dass ich mich in der Zwischenzeit (16 Jahre sind eine laaaange Zwischenzeit) auch noch mit allem, was Doherty mit den Libertines (die eine weitaus musikalisch hochkarätige Reunion hingelegt haben als zum Beispiel die weitaus bedeutenderen Pixies oder die Stooges – es gibt schlicht kein schlechtes Album der Libertines) und den Babyshambles (hätte Doherty außer dem Babyshambles-Debüt „Down In Albion“ NICHTS veröffentlicht und wäre dann spurlos verschwunden – er würde dennoch als einer der größten Popmusikkomponisten aller Zeiten an der Seite Paul McCartneys sitzen und ihm auf ewig das Dope wegschmöken) herausgebracht hat, beschäftigt habe und auch auf seine Solokarriere mit wunderbaren Veröffentlichungen wie den „Hamburg Demonstrations“ (2016), „Peter Doherty and the Puta Madres“ (2019) und seiner wunderschönen 2022er Kollaboration mit Frédéric Lo ein wachsames Auge gehabt habe.
Heuer also veröffentlicht Doherty sein aktuelles Soloalbum „Felt Better Alive“ und zuallererst fällt auf, dass es perfekter und eventuell glatter produziert ist als alles von den Babyshambles und auch als alle seine bisherigen Solowerke. Bei den Libertines habe ich aufgrund derer Punk-Attitüde nicht so auf die Produktion geachtet, man möge mir das verzeihen.
Peter Doherty hat offenkundig den harten Drogen abgeschworen und lebt mittlerweile ein ruhiges Leben mit Frau, Kind und Haustieren im ländlichen Frankreich, aber optisch und musikalisch ist er immer der freche, ungezogene Junge im Körper eines leicht verlottert aussehenden Erwachsenen geblieben, auch wenn er seit einigen Jahren einen Schnurrbart trägt und sich optisch dem zeitgenössischen 16-geteilt-durch-9-Format annähert – den jungenhaften Charme hat er sich bewahrt.
Und das gilt umso mehr für sein musikalisches Schaffen – Doherty hat eine apselut unverwechselbare Art, Melodien zu erschaffen und diese dann vorzutragen, und es ist immer vollkommen egal, ob er das musikalisch ausgereift und zuendeproduziert tut oder skizzenhaft zur Akustikgitarre, einen echten Doherty erkennt man immer gleich auf Anhieb und das soll ihm erstmal einer nachmachen.
„Felt Better Alive“ beginnt mit so einem „Peter Doherty mit seiner Akustikgitarre“-Songs. Er heißt „Calvados“ und ist tatsächlich eine Hymne auf das gleichnamige Getränk. Sie findet ihren Höhepunkt in den Zeilen „In the kitchen sits the farmer’s wife / Picking her teeth with a pocket knife / Her soul a mess of blues and chicken wire / She brushes the dog, spits in the fire / She takes down the bottle, takes down the glass / And pours herself a tiny splash / Of the serum from the ancient sacred orchard’s soil / Perfumed with the product of their blood, sweat, and toil, and so…“. Sehr schön, wie Doherty das Lebensgefühl seiner Wahlheimat hier in Worte fasst. Und sein Gesang nimmt mich dermaßen gefangen, dass ich kaum merke, wie der anfängliche Gitarrensong immer mehr in Richtung Pop wächst, mit synthetischen Streichern und ganz am Ende hektischer werdendem Schlagzeug – dazu die unvergleichliche Doherty-Art, eine Melodie hinzuzaubern, wunderschön! Und es geht gleich weiter mit diesen Streichinstrumenten und einer ähnlich tollen Melodie, „Pot Of Gold“ heißt das zweite Stück. Doherty hat es seiner Tochter gewidmet, und auch, wenn es schon in allen vorherigen Rezensionen zu diesem Album zitiert worden ist, komme ich nicht drum herum, die Eröffnungszeilen „Hush my darling, no don’t you cry / Daddy’s trying to write you a lullaby so sweet.. / And if that lullaby is a hit / Dad can buy you loads of cool shit“ zu zitieren. Ist das süß? Es ist süß, und wird von dem folgenden „Forget about the times / When they always try to run me out of town“ schön auf den Boden der vergangenen Tatsachen zurückgeholt.
Mit „The Day The Baron Died“ geht es sehr ruhig weiter, eine weitere Doherty-Melodie, wie nur Doherty sie zu erfinden im Stande ist, nach einem sehr spärlich instrumentierten Intro kommen Schlagzeug, Streicher und Gitarre hinzu und Doherty hebt die Stimme an, so dass man denkt, die Beatles und die Kinks wären eine bisher unveröffentlichte Kollaboration eingegangen.
Wir sind erst bei Stück Nummer drei und Doherty hat mich schon komplett um den Finger gewickelt und umgehauen, und es wird im weiteren Verlaufe des Albums nicht schlechter. Im Gegenteil. „Felt Better Alive“ ist das bislang stilistisch breitgefächerteste Doherty-Album. Mit „Stade Océan“ beginnt es, rockiger zu werden, Dohertys Stimme klingt rauher als auf den vorherigen Stücken, ohne ihre gefühlsbeduselte Zerbrechlichkeit einzubüßen. „Out Of Tune Balloon“ beginnt folkig-klimperig, handelt von einer Gans, die fliegen will, und ist komplett zauberhaft. Am Ende klingt Doherty wieder lausejungenhaft und irgendwie rotzig, aber auf eine sehr charmante Art und Weise. Das setzt sich auf dem Titelsong fort. Die Melodie nimmt die Hörenden gefangen, Streicher umschmeicheln ein irgendwie countryeskes Schlagzeug, es geht um alte Lieder, Grabsteine, Cowboys, Sättel und Schießereien in Toledo. Nicht um Gefängnis, Bahnhof, Trucks, Regen, Mutter und Betrunkenwerden, es ist aber trotzdem für mich der perfekte Country-Song des Jahres 2025. Mit „Ed Belly“ geht es ähnlich country-folkig weiter, hier gibt es dann ein Klarinettensolo, Hammer! Wenn Glenn Miller noch lebte und einen Sänger suchen sollte, ich drückte ihm Dohertys Visitenkarte in die Hand. Mit „Poca Mahoney’s“ verlassen wir die Welt des Country und des Swing und betreten die der Gewalt gegen diejenigen, die sich nicht wehren können gegen diejenigen, die ihnen das vermeintliche Seelenheil predigen. „My little soul was five years old / Mother fucker turned me to stone / Man of the cloak, priest, bishop or pope / Mother fucker, Poca Mahone.“ So muss man das erstmal auf den Punkt zu bringen imstande sein.
Auf dem anschließenden „Fingee“ geht es um Heroin, der Text klingt nicht negativ, Melodie und Vortrag lassen aber vermuten, dass hier jemand mit seiner substanzengebrauchsgeprägten Vergangenheit abzuschließen versucht.
„Prètre de la mer“ klingt dann sehr schön folklorisch, etwas, das Doherty immer schon versteht und das sehr schön mit seinem Gesang zusammenpasst. Das Lied ist hälftig auf Englisch und Französisch verfasst und es geht irgendwie um den Glauben. „Glauben“ heißt „nicht Wissen“, sage ich immer (in Übereinstimmung mit meinem leider zu früh verstorbenen Deutschlehrer Werner Kieselbach, der immer ein „Und „Nicht wissen“ heißt „Dumm sein“ anfügte) und bin hier dann völlig raus, es geht also um Glauben und ich weiß nicht, was soll das bedeuten. Aber Wurscht: Mit „Empty Room“ hängt Peter Doherty noch einen beatleesken, kurzen Song ran und beantwortet alle noch offenen Fragen mit einem dreifach donnernden „Hey la, hey la, hey la, hey la / Hey la, hey la, hey la / Hey la, hey la, hey la, hey la“.
Ich für meinen Teil (jahaha, hihi, diese abgeschmackte Formulierung wollte ich immer schon mal irgendwo unterbringen, und da ich meinem Vater keine Briefe mehr schreibe, tue ich das dann eben einfach mal hier auf krautnick.de) bin froh, dass Peter Doherty nicht dem Club 27 beigetreten ist (wonach es jahrelang aussah, auch als er schon deutlich älter war als 27), sondern immer noch wunderschöne und wegweisende Popmusik macht. Als einer der bedeutendsten Songwriter der letzten Jahrzehnte.