Von Matthias Bosenick (06.04.2022)
„We should all be feminists“ steht auf einem T-Shirt, das Penélope Cruz in einer Szene des Films „Parallele Mütter“ trägt, und damit bringt Regisseur Pedro Almodóvar viel Grundsätzliches in seiner Weltsicht zum Ausdruck. In Haltung und Farbe ist „Parallele Mütter“ ansprechend warmherzig geraten, dabei bedient sich Almodóvar klassischer Suspense-Methoden, um sein Beziehungsdrama, das weit mehr ist als das, zu erzählen, gemessenen Schrittes und mit mehr Vergebung, als die Menschheit an sich aufzubringen in der Lage ist. Einmal mehr mit Mutterschaft als ewigem Thema Almodóvars; und zwei Stunden großartiges Kino.
Die Handlung ist schnell erzählt und birgt einige Überraschungen, von denen die Unterzahl erwartbar ist: Janis und Ana begegnen sich bei der Niederkunft im Krankenhaus und laufen sich später in Madrid wieder über den Weg. Ohne groß zu spoilern, sind sie per markerschütterndem Schicksal miteinander verbunden; die ältere Janis nimmt die gerade eben so nicht mehr minderjährige Ana als Haushaltshilfe und Kindermädchen bei sich auf. Das sie verbindende Schicksal droht sie zu entzweien, weil Janis es zunächst vor Ana verborgen hält. Als Klammer um diese Geschichte herum müht sich Janis, mit Hilfe des Forensikers Arturo, dem Vater ihres Kindes, den sie zunächst verstößt, erstmals, weil er eine Abtreibung befürwortet, und dann erneut, weil er seine Vaterschaft bezweifelt, ein Massengrab aus der Kriegszeit in ihrem Heimatdort wissenschaftlich zu exhumieren; nicht der einzige Moment nebenbei, in dem Almodóvar seine klare politische Haltung unterbringt. Alles wird gut – auf die den Bedingungen entsprechende bestmögliche Art und Weise und in vielen Punkten noch viel besser, als es die Gesellschaft zu leisten in der Lage ist.
Heißt also, Handlung zu verfolgen gibt es nicht viel, aber dafür liebenswerte, empathische, fürsorgliche, warmherzige Menschen und was sie bewegt, die man begleitet, und darin liegt das Pfund dieses Films. Almodóvar verpflichtet grandiose Schauspielerinnen und ersinnt nicht minder grandiose Figuren. Penélope Cruz als Stammbesetzung verkörpert die Janis glaubwürdig, in jedem Moment, mit jeder auch fragwürdigen Entscheidung, die sie fällt, mit ihrer Wärme wie mit ihrer Abweisung. Schön im Vergleich die Geburten: Janis erträgt den Schmerz glücklich, Ana gequält; man sieht, wer mit sich und seinem Leben im Reinen ist. Was sich alsbald ändert. Und selbst Anas Mutter Teresa, die Almodóvar als egozentrische karrieresüchtige Schauspielerin in den Film einführt, darf in ihrer Profession brillieren und somit den Zuschauererwartungen entgegenlaufen: Ein reines Feindbild ist sie nicht, entpuppt sich gar als unerwartet selbstreflektiert und auf ihre Weise fürsorglich und liebenswert.
In der Szene mit Cruz‘ T-Shirt vermittelt Janis Ana die Grundlagen der Haushaltsführung anhand des Kartoffelschälens. Mag der eine darin einen Rückgriff auf männliche Klischees von Hausfrauen sehen, steckt darin doch vielmehr ein Schritt in Richtung Selbstermächtigung, weil Janis Ana so darauf vorbereitet, sich befreit von Abhängigkeiten um sich selbst zu kümmern. Ein Männer-Bashing betriebt Almodóvar dennoch nicht, denn auch wenn Arturo die einzige nennenswerte männliche Figur in diesem Geschehen ist, bekommt auch er seinen Anteil am formidablen Ausgang. Den Almodóvar indes nicht in seiner Entwicklung begleitet, sondern nach der größtmöglichen Katastrophensituation einfach nur offen abbildet: Alle sind gut zueinander, alles scheint vergeben, sie sind eine große Familie, wie viele Menschen auch immer dazugehören, inklusive Nachwuchs. Die Sonne lacht über emotional aufgewühlte Menschen, die – so bodenhaftend und kontrastmutig ist der Regisseur – vor einem ausgehobenen Massengrab voller Kriegstoter stehen, deren Nachfahren sie sind.
Was Almodóvar auch kann, ist Kino: Seine Farben sind üppig, aber nicht knallig, und jedes Dekostück im Hintergrund ist nicht nur ästhetisch arrangiert, sondern lässt die Vermutung zu, Almodóvar habe da unterschwellige Botschaften codiert. Wie auch mit den Massengräbern: Der Name Franco fällt nie, man muss schon wissen, aber nicht zwingend, der Film funktioniert trotzdem. Und dann dieser Bilder: Cruz‘ Finger auf der Maus in Großaufnahme, in eine Tasse fließender Kaffee von oben, ein Zoom und Schwenk von rätselhaften Ornamenten auf die zwei Menschen, die vor jenen an einer Theke sitzen, eine Obstschale mit Äpfeln am Bildrand in der Küche und dazu eine Figur in einer Spiegelung an der Glasfront gegenüber, und immer wieder diese Wärme an den warmen Orten, so warm, wie es die Menschen sind, die sich dort aufhalten. Wie die Kamera: Abgesehen von dem Massengrab, dem Café, in dem Ana kurzzeitig bedient, und dem Fotostudio, für das Janis arbeitet, hält man sich ausschließlich in Wohnungen auf und begleitet das emotional dichte Agieren.
Musik findet kaum statt, und wo sie erklingt, erzeugt sie eine Spannung, die man eher aus Thrillern kennt. Der Kniff ist, dass damit die eigentlich dünne Handlung nicht dünn erscheint und man immerwährend etwas Anstrengendes, wenn nicht sogar Böses erwartet; rastet Janis aus, tötet Ana ihr Kind, schlägt Arturo zu? Auch wenn Almodóvar Konflikte anders löst, ist die Spannung davor gerechtfertigt: Damit erweitert der Regisseur Sehgewohnheiten und Erwartungen beim Publikum. Die finale Erlösung der Spannung ergießt sich im Grunde in einer neuen Spannung: Man behält den Reigen im Herzen, wenn man das Kino verlässt. Danke für so eine Art von Kinoerlebnis.