Von Matthias Bosenick (30.12.2024)
Okay, Mikael Åkerfeldt growlt wieder, war vorab zu vernehmen. Die ersten neun Alben seiner Band Opeth waren davon bestimmt, dass er seine Stimme zwischen Klargesang und tiefstem Growlen schwanken ließ, je nachdem, was die Komposition so erforderte, und der progressive Death Metal der Schweden erforderte dies stets passend und angemessen. Bis die Charts winkten, die Band das Orgeln lernte und feststellte, dass Deep-Purple-Fans die Ohren offener halten, wenn man das Growlen unterlässt und die Songstrukturen mehr an Yes als an Death anpasst. Auf „The Last Will And Testament“ growlt er also wieder – zu den Orgeln, den Prog-Sprüngen und den anderen Parametern, die mit dem vermissten Death Metal nicht allzuviel zu tun haben. Heißt: Das Growlen allein macht noch kein Opeth.
Mag sein, dass „The Last Will And Testament“ irgendwie kompakter wirkt als die vier Vorgänger ab „Heritage“, mit denen Opeth aufs Progdudeln umschwenkten. Die Band spielt einigermaßen tight, nur selten ist dies jedoch noch Metal. Ab und zu ein Riff, gelegentlich ein Gitarren-Solo, aber auch sehr viel Synthie und Orgel, bis hin zum Orchesterkitsch. Nix gegen die Harfe im vierten Track, der Stereoeffekt ist ganz geil, auch mal eine Flöte oder ein Spoken-Word-Anteil sind feine Ideen, beides übrigens beigetragen von Ian Anderson, da bleiben Opeth im Schubladenfach. Einige Melodien haben sogar den leichten Ansatz, haften zu bleiben. Nur macht ein Haufen guter Ideen noch kein gutes Album, wenn man diese Ideen nicht mit einer übergeordneten guten Idee verbindet.
Es ist schon merkwürdig: Softere Passagen, reduziertere Tracks gibt es bei Opeth ja schon länger, mit „Damnation“ veröffentlichten sie bereits 2002 ein gesamtes Album im eher akustischen Gewand. Und das war ausnehmend gut, da passte alles zusammen, es fiel leicht, dieses Werk in die Discographie zu integrieren und zu wissen, dass Opeth mit „Ghost Reveries“ wieder an alte Gepflogenheiten anknüpfen würden. Zum vorletzten Mal indes, der Weg in Richtung Progrock war bereits angedeutet.
Den schreiten Opeth hier nun ab, verschachteln ihre Tracks willkürlich, packen allen möglichen Kram hinein und geben sogar dem Kitsch eine ordentliche Suite. Aber sehr häufig fragt man sich, wann endlich Metal kommt, auch mit dem eingearbeiteten Growlen, und nicht selten ist man erschüttert, wie einfältig manche Melodien sind, etwa zu Beginn des sechsten Tracks. Zudem meint man, den ganzen Prog-Kram seit 50 Jahren bereits bei einschlägigen Vertretern des Genres gehört zu haben. Das Ganze ist dann auch noch so zusammenhanglos aneinandergeprengelt, dass man nicht mal einen einzelnen Track hervorheben kann, den man gern häufiger hören wollen würde. Klar, so ist das ganze Album ein einzelner, sehr langer Track – das bestätigt die Titelstruktur, denn die ersten sieben Tracks sind einfach durchnummeriert, lediglich der ABBAeske achte trägt einen konkreten Titel, nämlich „A Story Never Told“. Das hat mit dem Konzept zu tun, denn – ganz Progrock – „The Last Will And Testament“ ist ein Konzeptalbum über eine Familiengeschichte, die nach dem Tod des Erblassers die Angehörigen zum Erblassen bringt.
Damit ist „The Last Will And Testament“ das fünfte Opeth-Album in Folge, das einem die Band abgewöhnt. Auch mit Growls. Das ist bedauerlich, aber schmälert den Genuss der ersten neun ja nicht. Der Gastbeitrag von Joey Tempest lässt ahnen, wohin die Reise mit Opeth geht – jedenfalls nicht mehr in die heimische Sammlung. Endgültig.