Von Guido Dörheide (24.08.2024)
Der Spoiler zum Film: Nur noch ein einziges Mal (It Ends With Us)
HINWEIS: Ich gebe hier nahezu den kompletten Inhalt des Films wieder. Allen, die den Film unvoreingenommen sehen wollen, um sich ein eigenes Bild zu machen, rate ich, den Artikel erst anschließend durchzulesen.
In der letzten Woche schlug die Liebste mir vor, dass wir uns den Film „Nur noch ein einziges Mal“ ansähen, und ich, der ich noch nichts über den Film gehört hatte, befragte Doktor Google, der mir sagte, dass sich der Film mit Blake Lively in der Hauptrolle mit dem Thema „Häusliche Gewalt“ auseinandersetze. Wichtiges Thema, gute Hauptdarstellerin, also buchten wir gute Plätze im größeren der beiden Lichtspieltheater in der zweitgrößten Stadt Niedersachsens (gleich nach Hannover), wo wir ohnehin am Freitag etwas zu erledigen hatten.
Zwei Tage vor unserem Kinobesuch wollte ich noch mehr über den Inhalt des Films erfahren und googelte erneut, wurde aber nicht fündig. Stattdessen las ich viel über einen weltweiten Shitstorm, den Blake Lively mit ihrer Vermarktung des Films losgetreten hätte: Anstatt die häusliche Gewalt zu thematisieren, widmete sie sich den sicherlich auch wichtigen Themen Blumen, Schnaps und Haarprodukte. Das ist zugegebenermaßen richtig dolle scheiße. Regisseur und Hauptdarsteller Justin Baldoni machte dagegen in Interviews deutlich, dass der Film das Ziel hätte, Gewalt gegen Frauen zu thematisieren und Betroffenen Hoffnung zu geben. Das ist sehr gut und vor allem richtig und notwendig.
Nun war ich gespannt auf den Film und habe versucht, ihn auf mich wirken zu lassen, als hätte ich den Doktor nie befragt. Hier das Ergebnis:
Lily Bloom (Blake Lively) reist in ihre Heimatstadt Plethora, Maine, um ihren Vater zu beerdigen, und wird von ihrer Mutter gebeten (genötigt?), eine Grabrede zu halten. Noch wissen die Zuschauenden nichts über Lilys Vater und ihr Verhältnis zu ihm, sie merken aber sofort, dass sich Lily mit der ihr zugedachten Aufgabe sehr schwer tut. Die Mutter schlägt vor, dass Lily einfach fünf Dinge aufzählt, die sie an ihrem Vater geliebt hat – gesagt, getan, Lily schreibt die Ziffern 1 bis 5 auf eine Serviette und nichts weiter dazu. Die Grabrede bricht sie genau in dem Moment ab, in dem sie die Ziffern mit Inhalten füllen sollte, denn das kann sie nicht, und im Anschluss erfährt das Publikum, warum: Lilys Vater, der örtliche Bürgermeister, hat ihre Mutter regelmäßig geschlagen und vergewaltigt. Offensichtlich liebte Lily ihren Vater dennoch (jedes Kind wünscht sich ein funktionierendes Elternhaus und liebenswerte Eltern), sie verstand jedoch nie, warum ihre Mutter bei ihm blieb und stellt sie nach der Beisetzung auch diesbezüglich zur Rede. Verstörenderweise kann die Mutter keine überzeugende Begründung geben; die Zwänge, die sie an der Seite ihres Peinigers ausharren ließen, sind aber nachvollziehbar und den Moralvorstellungen und finanziellen Abhängigkeiten der „guten alten“ Zeit geschuldet. Und hier geht es nicht etwa um die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, der Film spielt im Hier & Heute und die Hauptdarstellerin ist keine 40 Jahre alt, somit liegt die in toll gemachten Rückblenden geschilderte Zeit von Lilys Familienalbtraum irgendwo in den 90er Jahren. Überhaupt Rückblenden: Die junge Lily (kurz vor dem Erwachsenwerden) wird von Isabela Ferrer gespielt und diese ähnelt der zeitgenössischen Lily (Blake Lively) in Mimik, Gestik und überhaupt allgemein so sehr, dass man meinen mag, ein und dieselbe Schauspielerin in verschiedenen Altersstadien vor sich zu haben. In der Rückblende verliebt sich Lily in den lebensmüden, weil aus einem gewaltgeprägten Haushalt, in dem er wiederholt erfolglos und ungewünscht die Mutter beschützen muss, die ihm das mit einem Rausschmiss vergilt, stammenden Atlas, der schließlich von Lilys Vater krankenhausreif geprügelt wird und eine Karriere bei den U.S. Marines aufnimmt.
Lily zieht sich nach dem Beerdigungsfiasko auf die Dachterrasse ihrer temporären Bostoner Bleibe zurück, um sich auszuheulen, und macht dort Bekanntschaft mit dem Neurochirurgen Ryle Kincaid (Justin Baldoni, der auch Regie geführt hat), der stühleschmeißend und brüllend keinen Hehl daraus macht, mit Impulskontrolle nicht allzu viel am Hut zu haben. Dennoch kommen sich Lily und Ryle im Gespräch näher und landen beinahe im Bett, wenn nicht das Telefon des allzubeschäftigten Hirnaufschneiders einen Strich durch die Rechnung machen würde.
Lily eröffnet dann in Boston einen Blumenladen, stellt die mit einem an Allmachtsphantasien und zu viel Geld nicht eben armen hochgradig unsympathischen Gatten gesegnete Allysa als Mitarbeiterin ein und erfährt im Zuge dieser Gemengelage, dass Allysa die Schwester des unreflektierten Neurochirurgen Ryle ist. Dadurch kommen Lily und Ryle sich näher, und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Bis hierher hat der Film – außer die Sache mit dem Stühleschmeißen – durchaus Züge einer romantischen Komödie und rein theoretisch könnte man sich vorstellen, dass es mit Lily und Ryle, die inzwischen auch verheiratet sind, der große romantische Scheiß des Jahrtausends werden könnte. Justin Baldoni spielt den Ryle allerdings so, als hätte er nicht nur ein dunkles Geheimnis mit sich herumzutragen (richtig, er hat im Alter von sechs Jahren beim Spielen mit der achtlos herumliegenden Handfeuerwaffe der Eltern seinen Bruder erschossen), sondern als wäre er auch irgendwie unkontrollier- und -berechenbar (was auch wieder mit der Brudererschießung zu tun hat).
Dann passieren einige Dinge:
- Ryle gerät außer sich, als er sich versehentlich an einer heißen Auflaufform verbrennt, und schlägt Lily.
- Lilys Jugendfreund Atlas, der inzwischen ein Restaurant in Boston eröffnet hat, bemerkt, dass Lily ein blaues Auge hat (siehe 1.), stellt Ryle zur Rede, beide geraten in ein Handgemenge, woraufhin Ryle Lily faktisch untersagt, Atlas auch nur noch ein einziges Mal zu sehen.
- Ryle findet heraus, dass Atlas Lily für Notfälle seine Telefonnummer hinterlassen hat, gerät komplett außer sich und stößt Lily eine Treppe hinunter.
- Lilys Blumenladen und Atlas’ Restaurant tauchen in einem Stadtmagazin unter den besten 10 Lokalitäten in Boston auf. Ryle zwingt Lily, den Artikel über Atlas’ Restaurant vorzulesen, in dem dieser in einem kurzen Interview verschlüsselt seine immer noch bestehende Liebe zu Lily beschreibt. Ryle behauptet daraufhin, Lilly zeigen zu wollen, „wie sehr er sie liebt“. Was bedeutet, dass er sie wiederholt zu vergewaltigen versucht.
Es wird deutlich, dass Ryle es nicht verkraften kann, dass es mit Atlas bereits zuvor einen Mann in Lily Leben gegeben hat (was ziemlich krank rüberkommt und auch ist), Lily flüchtet zunächst zu Atlas, kehrt dann zu Ryle zurück, wobei die Freundschaft zu Ryles Schwester Allysa eine Rolle spielt, und wird schließlich schwanger. Von Ryle.
An dieser Stelle des Films und auch schon vorher kam mir in den Sinn, dass Lily doch eigentlich viel besser zu Atlas passt als zu Ryle, inzwischen aber scheinbar untrennbar mit Zweiterem verbandelt ist. Auch alle Szenen mit Allysa, ihrem Mann, Ryle und Lily, so lustig sie auch sein mögen, wirkten auf mich wie die Darstellung eines falschen Lebens in der Hölle.
Schließlich bekommt Lily ihr Kind und spricht sich im Krankenhaus mit Ryle aus. Sie schlägt ihm schließlich vor, in Angedenken an den erschossenen Bruder Emerson die gemeinsame Tochter Emma zu nennen, und lässt Ryle das Baby auf den Arm nehmen. Er ist gerührt und sagt, dass noch niemand so etwas für ihn getan hätte, die Liebste und ich sind entsetzt ob dieser Eintracht und dann kommt es zur Schlüsselszene: Lily eröffnet Ryle, dass sie die Scheidung will, er ist komplett entsetzt und sie konfrontiert ihn mit den oben aufgeführten Gewaltszenen (mit Ausnahme der versuchten Vergewaltigung) und fragt ihn, wie er reagieren würde, wenn die gemeinsame Tochter ihm später solche Szenen schildern würde. Er antwortet, dass er der Tochter dann raten würde, den Gewalttäter zu verlassen, erkennt schließlich die Ausweglosigkeit (zuvor hatte er noch sämtliche Klischees bedient mit „Ich änder mich für Dich! Ich mache eine Therapie!“) seiner Lage und fügt sich in die Trennung.
Mich hat dieser Film sehr bewegt und ich finde ihn toll. Das Thema „Häusliche Gewalt“ spielt sich nicht im Gore- und Splatter-Umfeld, sondern eher im Rahmen zunächst romantischer Beziehungen ab, und das schildert der Film wirklich überzeugend. Kinder, die aus einem gewaltgeprägten Familienumfeld stammen, sind gefährdet, in ihrem eigenen Erwachsenenleben Ähnliches durchzumachen, auch das taucht überzeugend und nachvollziehbar im Film auf. Und wenn häusliche Gewalt ein Bestandteil des Familienlebens ist, ist das nicht die ganze Zeit so, es gibt zwischendurch auch immer wieder romantische und fröhliche Episoden, die das Opfer hoffnungsfroh stimmen, dass die Gewalt nun ein Ende hat. Alles das zeigt der Film, und er zeigt auch, dass es nur ein einziges Ende der Gewaltspirale gibt, nämlich eine von außen gesetzte Grenze. In diesem Fall erfolgt das durch die Ehefrau selbst.
Die Reaktionen des Kinopublikums auf diese Grenzensetzung haben mich komplett entsetzt: Als Lily zu Ryle sagte „Ich will die Scheidung“, ging ein lautes Lachen durch den Zuschauerraum. Auch während der folgenden Szenen gab es weiterhin Gekicher. Ich schaute hilfesuchend die Liebste an und fragte „Warum lachen die denn jetzt alle?“ und sie antwortete „Die haben den Film nicht verstanden.“ Das fürchte ich auch.
Kritisch finde ich, dass hier der Ausstieg aus der gewaltdominierten Beziehung mit einem „Ich will die Scheidung“ hier als vergleichsweise leicht geschildert wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass so etwas im wirklichen Leben Jahre dauern kann, auch wenn man sich schon lange bewusst ist, dass man in einer Gegenwart lebt, die keine Zukunft hat, und gerade im Fall der Gewalt „Mann gegen Frau“ ist die Angst vor brutalen Racheakten mehr als begründet. Trotzdem finde ich es korrekt, das Ausstiegsszenario im Film so weit zu vereinfachen, dass ein einfacher Satz reicht, um alles zu beenden. Was es da zu lachen gab, verstehe ich immer noch nicht.