Von Matthias Bosenick (17.12.2016)
Ist das noch Fußball? Seit 13 Jahren gibt es von den EBM-Erfindern Front 242 keine neue Studiomusik mehr, aber dafür von haufenweise Nebenprojekten. Nothing But Noise ist eines davon, mit Daniel Bressanutti alias Daniel .B. sowie seinem Seitentritt Dirk Bergen, der sogar zur Gründerbesetzung von Front 242 gehörte. Als Nothing But Noise machen sie zum zweiten Mal auf Albumlänge Ambient, durchsetzt von typischen Post-EBM-Effekten, mit denen sie auch schon bei Front 242 für eine Abkehr alter Fans sorgten. Selbst Schuld, denn „eXistence oscillation Past“ sitzt genau in der höchstspannenden Lücke zwischen Drone und Goa: beatlos, aber hektisch. Ein aufregender Trip.
Der Unterbau dieser fünf ellenlangen Tracks ist zumeist ein repetetives Elektropluckern, ganz wie bei Leuten wie Jean Michel Jarre gelernt, auf das die beiden Belgier mit ihren Elektroeffekten aufsatteln. Dazu gehören abrupte kurze Beatsalven, Spacesounds, metallische Geräusche, Orchestersamples oder chillige Keyboardteppiche sowie bei Ambientlehrern der Berliner Schule mitgenommene Muster. Dabei hat das Duo ein überraschend breites Klangspektrum; „Manoeuvres Mécaniques“ etwa klingt wie der Score eines recht schlimmen Horrorfilms. Auf plakative Beats verzichten die Belgier hier, auf Rhythmen indes nicht: Allein aus der Wiederholung und den Loops ergeben sich zwangsweise Takte, und weil die ausgewählten Sounds so fordernd sind, kommt man weniger zum entspannten Einnicken als zum gespannten Kopfnicken.
Die größte Veränderung zum Vorgänger „Not Bleeding Red“ von vier Jahren ist eine personelle: Gastmusiker Erwin Jardot alias Dream Invasion ist nicht mehr dabei. Vielleicht liegt es daran, dass das neue Album etwas weniger weich klingt als das Debüt, denn Jardots Musik ist deutlich sanfter als die seiner Kollegen. Von klassischem oder auch modernem EBM ist Nothing But Noise dennoch meilenweit entfernt, und genau das zeichnet die Musik auch aus, denn alles andere gibt es ja schon. Okay, experimentellen Ambient auch, aber nicht in diesem Umfeld und auch nicht so streckenweise harsch.
Vier Jahre ohne neues Album bedeutet nicht, dass es gar keine Musik gab: Bressanutti hob die Reihe „Music For Musted TV“ aus der Taufe. Den ersten Teil gab es 2013 als 10“ von Nothing But Noise im Rahmen des Record Store Day, Teil zwei und drei dieses Jahr als Tape, und zwar einmal als Kooperation von Nothing But Noise und Bressanuttis Alter Ego Prothese sowie als reines Prothese-Werk. Und Front 242 selbst? Sind ewig auf Tour und streuen gelegentlich einen Remix zu einer Compilation bei, wie zuletzt „S.FR.Nomenkaltura (EBMurdermix.14 by Acucrack)“ auf dem Sampler zum dritten Cold-Waves-Festival. Macht aber nix, wenn die Seitenstränge so aufregend sind wie Nothing But Noise.