Von Matthias Bosenick (04.12.2017)
Zwei EPs zum Preis von und in der Spielzeit eines Albums: Trent Reznor macht die jüngsten Vinyl-Veröffentlichungen seines dem US-Industrial zugeordneten Hauptprojektes Nine Inch Nails jetzt auch für Europäer physisch zugänglich, wenn auch lediglich als CDs. Hier bekommt man alles, was man kennt. Und das ist genau das Problem. Ist ja alles recht nett und niveauvoll zusammengetackert, aber mit Blick auf das vor allem schon länger zurückliegende Werk ohne Innovationen. Und ohne den emotionalen und narrativen Zusammenhalt, den Alben wie „The Fragile“ und besonders „The Downward Spiral“ so exorbitant gut machten.
Eigentlich setzt Reznor seine Vorgehensweise des Comebackalbums „Hesitation Marks“ fort: Er moduliert und modelliert am Reißbrett entworfene Beats und Sounds umeinander und nölt dazu seine vertrauten Melodien. Alles fein, so wie er kann es eben nur er, aber mehr als das kann er offenbar nicht mehr. Immerhin, es ist besser als seine Aberdutzenden Dudel-Soundtracks mit Atticus Ross oder das Popprojekt How To Destroy Angels. Ross ist auch auf diesen EPs der offizielle zweite Mann, aber so richtig in Fahrt bringt es Herrn Reznor nicht.
„Not The Actual Events“ beginnt mit zwei Uptempotracks, die sich wie auf „Hesitation Marks“ als reine Patternkonstrukte aufführen. Nett designt, aber eben hörbar designt. Hauptsächlich elektronisch, frei von Schmutz. Das ändert sich zur Hälfte, „She‘s Gone Away“ zieht mit schleppendem Tempo und verschachtelten Rhythmen die Stimmung angenehm herunter. Hier singt Reznors Muse Mariqueen Mandig, der er schon How To Destroy Angels als Sangesplattform schenkte. Es folgt der für Nine Inch Nails beinahe klassisch komponierte US-Industrial-Knaller „The Idea Of You“, der eine monotone Bratzgitarre Stakkatos knüppeln lässt und gegen Ende einige atmosphärische Synthies wie zu Zeiten von „The Perfect Drug“ einwebt. Hieran ist überraschenderweise ausgerechnet Mainstreamrocker Dave Grohl beteiligt; einmal mehr ist er dann am besten, wenn er nicht die Verantwortung trägt. Den Abschluss macht ein malmendes Slomo-Stück, das auf „The Fragile“ sehr positiv aufgefallen wäre und mit zwei Abruptstops noch mehr Bekanntes aufreiht. Dave Navarro ist hier als Gast gelistet.
Auch „Add Violence“ beginnt mit einem Track im Strickmuster von „Hesitation Marks“, also künstlich, einfach, eingängig. Den Unterschied macht hier die Gitarre, die sich wie früher allmählich steigert. Das gibt dem Sound eine nötige Schippe Unrat. Im Downtenpo, mit Piano und latent verzerrt, versetzt mit zaghaften Fiepgeräuschen, geht es im Stile von „The Fragile“ weiter, nur familientauglicher. Zur Mitte der EP wird es noch langsamer, mit schwankenden Melodien über einem Piano und einem Trip-Hop-Groove. Das Tempo zieht beim nächsten Track wieder etwas an und erinnert einmal mehr an die Zwischenstücke von „The Fragile“. Das Stück bricht gelegentlich aus und mölmt herum, das Schlagzeug klingt dabei wie ein echtes; das erhöht die Aufmerksamkeit immens. Zum Schluss wird es wieder langsam, und auch lang, elf Minuten nämlich. Interessant ist hier der wiederkehrende Break, der nach dem gefühlten eigentlichen Ende des ansonsten unspektakulären Stücks den Beat noch stundenlang latent verschleppt. Mitwippen geht nicht, das gibt Nackenbruch. Der beste Effekt auf beiden Veröffentlichungen.
Trotzdem stellt sich „Not The Actual Events“ mit seinen zwei akzeptablen Krachern als die bessere von beiden EPs heraus; die akustische Nähe von „Add Violence“ (was Reznor mal hätte machen sollen) zu „The Fragile“ kann man sich vielleicht damit erklären, dass er parallel zur ersten EP auf Vierfachvinyl eine Begleit-LP zu ebenjenem Album von 1999 veröffentlichte; das soll wohl den finanzstarken Hörer anfixen. Beide EPs gab es zunächst über die Webseite der Band zu erwerben, und zwar als Vinyl, erstere sogar schon vor einem Jahr. Das Problem für Europäer waren dabei aber die horrenden Portokosten aus den USA, einen Überseevertrieb gab es nicht. Aber jetzt die EPs eben als CDs auch in Europa. Auch „The Fragile: Deviations 1“ ist inzwischen in Europa erhältlich, aber immer noch zu enormen Preisen. Die „1“ lässt zudem vermuten, dass da noch mehr kommt; vielleicht ist es Reznor auch klar geworden, dass er früher die spannenderen Sachen machte. Gut, freuen wir uns für ihn, dass er clean ist. Für die Musik gilt das nicht.