Von Matthias Bosenick (22.08.2018)
Der Thron ist leider frei, doch Trent Reznor gebührt er nicht, auch wenn er auf der neuen Nine-Inch-Nails-EP gern so singen will wie David Bowie. An den restlichen Stellen der sechs Tracks klingt die Musik immerhin endlich mal wieder nach seiner eigenen, also nicht mehr so antiseptisch. Und dennoch findet er den Anschluss an sein letztes Großwerk „The Fragile“ von 1999 in diesem Leben wohl nie wieder, das gibt seine geläuterte Seele offenbar nicht mehr her.
Das frühe Oeuvre des Herrn Reznor ergoss sich aus psychischen und drogenbedingten persönlichen Problemen, die ihren Ausdruck in beklemmender Musik fanden, in einem US-Industrial, mit elektronischen Effekten, verfremdeten Gitarren, Aggression und Depression, mit Dreck nicht nur unter den Fingernägeln. Natürlich ist es erfreulich, dass Reznor seine Probleme bewältigt bekam. Doch anders als vergleichsweise Devin Townsend gelingt es ihm nicht überzeugend, sein kreatives Potential in neue Bahnen zu lenken und trotzdem heavy zu bleiben.
Heraus kommen dann Alben und EPs nach Baukastenprinzip, wahlweise mit oder ohne Störfaktoren. Auf „Bad Witch“ lässt er nun endlich mal wieder die Störfaktoren zu, heißt: Die Musik klingt nicht mehr so synthetisch wie seit „Hesitation Marks“, sondern – nun – wie früher, nur ohne das entsprechende Gefühl. Das kann Reznor einfach nicht mehr haben, er kann sich allenfalls daran erinnern, und aus dieser Erinnerung heraus kreiert er die Tracks auf „Bad Witch“.
Zunächst lässt Reznor sich darauf ein, einen hektischen Rhythmus nach Drum-And-Bass-Manier zu generieren, den er mit gesampelter Gitarre und später – eine Art Novum für ihn – mit Saxophon untermalt. Zuletzt lässt er die EP mit an seinen „Quake“-Soundtrack erinnernden noisigen Soundscapes ausfaden. Klingt also wie ein typisches Konglomerat an Reznor-Ideen, wirkt aber weniger zwingend als „The Downward Spiral“, sondern eher so uninspiriert zusammengebastelt wie „The Slip“.
Zudem pitcht Reznor seine Stimme im Mittelteil ein wenig herunter, so dass sie sehr an David Bowie erinnert; ein Effekt, den er mit einer Musik untermalt, die an Bowies D’n’B-Phase rund um „Earthlings“ 1997 appelliert, also zu der Zeit, als Reznor selbst Bowie zweimal remixte („The Heart’s Filthy Lesson“ aus dem „Se7en“-Soundtrack und das begnadet gute „I’m Afraid Of Americans“). So recht stehen mag ihm das aber nicht, und Bowie stimmlich näher ist ohnehin seit jeher Reznors schottischer Industrial-Kollege Chris Connelly.
Bei dem knapp halbstündigen „Bad Witch“ handelt es sich rückwirkend deklariert um die letzte von drei inhaltlich und musikalisch nicht zusammenhängenden EPs, die Reznor seit Ende 2016 veröffentlicht; die ersten beiden waren „Not The Actual Events“ und „Add Violence“. Seltsamerweise vermarktet Reznor „Bad Witch“ als Album, das er für den Preis einer Single verkauft; das ist fanfair, verglichen mit dem überteuerten Reste-Update von „The Fragile“ auf Vinyl. Hintergrund ist indes lediglich die bessere Vermarktbarkeit bei iTunes. Immerhin: Von den drei EPs ist „Bad WItch“ musikalisch noch die ansprechendste.