Von Matthias Bosenick (25.08.2022)
„Solche Dinge sollten nicht passieren, aber sie passieren“, sagt Nick Cave im sechsten seiner „Seven Psalms“, sieben zur Ambient-Musik von Warren Ellis gesprochene Kontemplationen über „Glauben, Wut, Liebe, Trauer, Barmherzigkeit, Sex und Lobpreis“, wie es Cave selbst bezeichnet. Für jeden Tag der Woche ein Psalm, alle zusammen ein Angebot zur Meditation. Angesichts des Umstandes, dass Cave jüngst auch seinen zweiten Sohn an den Tod verlor, kann man seine Haltung beinahe als stoisch auffassen, mindestens als gestärkt, gesund und zukunftsgewandt. Und der Geist Gottes schwebt über dieser 10“.
Cave spricht seine sieben Psalmen, er singt nicht. Ellis bedient sein Instrumentarium behutsam im Hintergrund, erzeugt Flächen und milde Drones, und lässt Cave Raum für seine Rezitationen. Cave lässt seinen Furor draußen vor der Tür, bleibt milde wie die Musik; man könnte beinahe heraushören, er sei geschwächt, niedergeschlagen, habe aufgegeben, aber das stimmt nicht, das ist eine Fehleinschätzung, das hört man doch, er ist nur nicht so sehr von Zorn getrieben wie einst, er trägt eine Flamme in sich, die ihre Farbe änderte, ihre Temperatur womöglich, er ist stark, und bedenkt man die Umstände seiner Situation, in sieben Jahren zwei Kinder verloren zu haben, spiegeln die „Seven Psalms“ sogar eine Stärke, die ohne Gewalt, Aggression oder Muskulatur zum Ausdruck kommt, vielmehr auf eine innere Basis baut, auf Selbstvertrauen und Vertrauen in höhere Mächte, Gott mithin, den er ebenfalls nicht länger als den Zorngetriebenen und Rachsüchtigen anspricht wie einst, sondern als seine Stütze, sein Ziel gar. Dabei fällt Cave nicht ein, die Hörenden zu missionieren, sondern er macht lediglich ein Angebot zur Meditation. Und eine gute Platte.
Diese „Seven Psalms“ entstanden bereits während der gemeinsamen Arbeit von Cave und Ellis an ihrem Album „Carnage“, das die beiden im Vorjahr herausbrachten und das den nach dem Tod des ersten Sohnes 2015 milde gewordenen Sound Nick Caves fortsetzt. Anders als die Alben jener Jahre erscheint „Seven Psalms“ nicht weinerlich, eben im Gegenteil. Diese sieben Psalmen zu einer eigenen Veröffentlichung zusammenzufassen und von „Carnage“ auszuklammern, war eine gute Entscheidung. Mit Glück erwischt man die limitierte 10“. Die sieben Stücke sind im Schnitt anderthalb Minuten lang mit einem elfminütigen Instrumental-Psalm auf der B-Seite. Zusätzlich planen Cave und Ellis ein Filmprojekt zu den „Seven Psalms“ mit kurzen Beiträgen aus der Hörerschaft. Und à propos Film, die beiden Musiker, die bereits unzählbar viele Soundtracks zusammen erstellten, berichten in dem Kinofilm „This Mich I Know To Be True“ über ihre Zusammenarbeit, die man mit Fug und Recht als fruchtbar bezeichnen darf.
Man kann die „Seven Psalms“ in einer Reihe hören mit dem Lockdown-Solo-Livealbum „Idiot Prayer“ – und sogar mit „L.I.T.A.N.I.E.S.“, der Kammer-Oper, für die Cave 2020 das Libretto verfasste: Einmal mehr eine Auseinandersetzung mit Gott, hier aufgeteilt in zwölf Bittgebete, die sich um den menschlichen Lebenszyklus drehen. Dabei handelt es sich um die zweite Zusammenarbeit mit dem Brüsseler Komponisten Nicholas Lens, nach „Shell Shock“ aus dem Jahr 2014, in der er noch singen ließ: „Fuck God, fuck the flag“ – da hat sich dann doch einiges getan in Sachen Gottesbild.