Von Matthias Bosenick (03.09.2016)
New Model Army sind eine der wenigen langlebigen Bands dieser Erde, die noch kein einziges schlechtes Album veröffentlicht haben, und auch das 14. Album „Winter“ ist wieder gut geworden. Anders als die Vorgänger „Between Dog And Wolf“ und „Between Wine And Blood“ sind auf „Winter“ die seinerzeit erstmals starken perkussiven Anteile wieder zurückgenommen, an ihre Stelle tritt der Wille zum reinen Rock. Nicht heavy, aber mit der gewohnten gebremsten Heftigkeit und einem Hang zur Atmopshäre; die 13 Stücke sind mehrheitlich im gehobenen Midtempo gespielt. Zur Sache geht es vielmehr in den Texten, auch das ist vertraut. Und Justin Sullivan (60) hat einfach eine geile Stimme.
Es ist schon gewagt, das Album mit einer Ballade zu beginnen: „Beginning“ dauert fast sieben Minuten und stapelt sich zu einem nachdrücklichen Energiebrocken auf. Es mündet direkt in das flirrend rockige „Burn The Castle“, dem musikalisch wohl ausdrucksstärksten Stück des Albums. Was nicht bedeutet, dass der Rest schwach wäre.
Ein typisches Phänomen bei neuen Alben von New Model Army ist, dass man die meisten Songs schon beim dritten, vierten Durchhören als Ohrwurm hat. Sie sind zunächst fremd und schnell Freunde. Dazu trägt sicherlich auch der Umstand bei, dass es bei New Model Army immer wieder zu Wiederaufnahmen vertrauter Elemente früherer Alben kommt: hier ein Akustikgitarrenriff, dort eine Basslinie, hüben ein Melodiefragment, drüben ein Arrangement. Ganz weg sind auch die schlagzeugfixierten Elemente nicht, aber sie sind weniger vordergründig (außer in „Born Feral“). Doch sind diese bekannten Anteile niemals dominant oder ein reines Selbstplagiat, die Band (außer Sullivan ist seit Ewigkeiten niemand von der Urbesetzung mehr dabei) hat zahllose neue Einfälle in petto und komponiert die in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Auf „Winter“ fällt auf, dass die Band Bock darauf hat, Mucke zu machen: Die Lieder folgen nicht simpel dem Strophe-Refrain-Brücke-Muster, sondern lassen Raum für musikalisches Ausufern. Nicht Losrocken, das klingt bei ihnen anders; das Titelstück von „Today Is A Good Day“ etwa verdeutlicht, was New Model Army unter Härte verstehen. So heavy wird „Winter“ nie. Ein erhöhtes Tempo versteckt sich vielmehr unter Atmosphären, es treibt die Songs nicht so voran wie „225“ oder Ähnliches. Für Posen sind New Model Army einfach zu abgeklärt: Die Musik funktioniert aus sich selbst heraus, man muss ihr zuhören. Und das lohnt sich. Auch über verschwenderische 13 neue Lieder.
Wer das Album über die Bandwebseite bestellt, bekommt es in einem hübschen Hardcoverbuch und von der Band signiert. Mehrwert zur Musik und Fanbindung gelungen. Auch mit „Winter“ im Sommer.