Von Matthias Bosenick (08.02.2024)
Justin Sullivan, einziges verbliebenes Gründungsmitglied von New Model Army, wird im April 68 Jahre alt. Seiner Stimme mag man die fortgeschrittene Lebenszeit bisweilen anhören, seiner Musik zu keiner Zeit: Die aus Folk Rock und Post Punk hervorgegangene Indierock-Instanz ist, der Titel des 16. Studioalbums verrät’s, „Unbroken“, sie drängt nach vorn, sie erzwingt die Auseinandersetzung, sie fordert Aufmerksamkeit ein, und das nicht mit punkiger Härte, zumindest nicht allein – ja, die Songs sind ruppig, doch sind es die Kombination aus Vortragsart, gebrochenen Rhythmen und in der Instrumentierung aufgestauter Energie, die hier den Eindruck von Inbrunst und Dringlichkeit omnipräsent halten. New Model Army ist eine der wenigen Bands dieses Planeten, die ewig existiert und noch nie enttäuscht hat.
Irgendwann beim drölften Hördurchgang fällt einem auf, was an „Unbroken“ speziell und New Model Army allgemein so besonders ist: Sie gehören zu den Bands, die keine Klischees erfüllen, sich also nicht verkaufsfördernd einer konkreten Szene zuordnen oder Stereotypen bedienen wollen. Das einzige Klischee, das sie erfüllen, ist bestenfalls ihr eigenes: Man erkennt New Model Army stets und immer wieder, und das, obwohl sie sich von Album zu Album verändern, entwickeln, andere Schwerpunkte suchen. Bestimmte Elemente bleiben einfach erhalten, der Stakkato-Rhythmus auf der Drei mit den kurzen repetitiven Akkordfolgen an den Saiteninstrumenten im Opener „First Summer After“, eine nachdenklich-reflektierte Gesangsmelodie mit in die Musik eingebetteten kurzen Zeilen, eine nicht balladeske Fragilität, die vor einigen Jahren eingeführten stark ausgeprägten perkussiven Elemente, das Punkige mit Call-and-response wie in „Coming Or Going“.
Aber dabei belassen es New Model Army nun mal nicht. Immer auf neue Weise bündeln sie ihre Energie und brettern die Zuhörenden damit um. Sie variieren ihre Rezeptur und bleiben damit erkennbar, aber frisch genug, um ein Argument zu liefern, sich wirklich jedes Album von ihnen zuzulegen: Der Chor in „Idumena“ etwa, die furiose Brutalität in „Reload“, das Psychedelische in „Legend“. Was fehlt, sind kurioserweise Streicher – was zu erwarten gewesen wäre nach dem jüngsten Ausflug ins Orchestrale, als New Model Army mit einem Leipziger Orchester das einmalige Ereignis „Sinfonia“ aufführten und veröffentlichten. Doch das war eine Idee ihrer Live-Geigerin Shir-Ran Yinon, lässt Sullivan wissen, auf die sich die Band zunächst zögerlich, dann begeistert einließ – und „Unbroken“ nun ausdrücklich als musikalische Gegenrichtung auffasst. Deshalb gibt es auch nach wie vor kein neues „Vagabonds“ von den Bradfordern zu hören.
Gitarrist, Sänger und Bandkopf Sullivan ist der einzige, der seit Anbeginn der Band 1980 Mitglied von New Model Army ist. Die jetzige Besetzung existiert in dieser Form seit zehn Jahren, Bassist Ceri Monger trat als letzter hinzu. Gitarrist Marshal Gill hat 18 Jahre im Dienste der Armee auf dem Konto, Schlagzeuger Michael Dean gut 25 und Keyboarder und Gitarrist Dean White sogar fast 30. Doch: Die Covergestalterin Joolz Denby übt dieses Amt seit Anbeginn aus, so auch für „Unbroken“, beklagte sich jedoch, dass ihr monumentales Pferdeporträt auf rotem Grund für das Coverartwork am oberen Rand beschnitten wurde.
Auf New Model Army, das darf das Fazit dieses Albums sein, ist Verlass. Niemals enttäuschten sie, und auch, wenn sich mal schwächere Songs in ein Album einfügten, waren die Alben insgesamt niemals schwach oder gar schlecht. Da gibt’s ganz andere Beispiele. May the circle be unbroken.
[Edit 09.02.2024] Marshal Gill ist seit rund einem Jahr nicht mehr dabei. Danke für den Hinweis, Cord!