Von Guido Dörheide (03.12.2024)
„Also meins ist es nicht, es muss Deins sein“, sagte die Liebste, als ich neulich am Frühstückstisch „Faded Dream“ von Neon Nightmare einlegte und wir den ersten Klängen des Albums lauschten. Der Opener „Higher Calling“ beginnt nämlich mit einem täuschend echten Telefonvibrieren und merkwürdigen Geräuschen. Damit gemahnt der Einstieg in das Debütalbum von Neon Nightmare an das 1996er Meisterwerk „October Rust“ von Type O Negative und – Bingo! – genau dieses Album nennt Nate Garrett, der Mann hinter Neon Nightmare, als dasjenige Type-O-Negative-Album, das seinen musikalischen Werdegang am meisten geprägt hat (nachzulesen auf metal.de in der Rubrik „Die persönliche Top 10 von…“). Garrett betreibt hauptberuflich die Band Spirit Adrift, mit der er vor acht Jahren mal mit Doom mit durchaus Melvins-Ähnlichkeit begonnen hat und sich im Laufe der Jahre zu einer Mischung aus klassischem Heavy Metal, Stoner, Doom und härterem Bluesrock hingearbeitet hat, der mich gesanglich bisweilen an die von mir über alle Maßen geschätzten Mastodon erinnert.
Mit seinem neuen Einmannprojekt Neon Nightmare wendet sich Garrett nun dem Gothic Rock zu und orientiert sich dabei tatsächlich hörbar – und beim Cover-Artwork mit dem über Eck geschriebenen Band- und Albumnamen auch sichtbar, wenn auch in blau anstatt in grün – an besagten Type O Negative. Was ein gutes Konzept ist, da es ja aufgrund des viel zu frühen Todes von Peter Steele im Jahr 2010 kein neues Material dieses Inbegriffs des düsteren harten Rocks mehr geben kann. Aber verhält sich Neon Nightmare wirklich zu Type O Negative wie, sagen wir mal, Greta van Fleet zu Led Zeppelin?
Nicht ganz. Zwar orientiert sich „Faded Dream“ wie gesagt vom Albumeinstieg sehr an „October Rust“ (auch hier beginnt der erste richtige Song nach dem Intro – „Lost Silver“ – mit einem schönen Klavier), der Gitarrensound ist ähnlich wie das Vorbild, wenn auch meistens mit Absicht ein wenig druckvoller, auch der Gesang klingt hier sehr nach dem Brooklyner Vorbild, aber Nate Garrett versucht zum Glück nicht, die ganze Zeit Peter Steele zu imitieren. Zwar singt er oft schön tief und geradezu gotisch, doch gang oft kann er nicht verbergen, dass er aus Texas stammt, und hört sich dann – bis auf die Musik – an wie Spirit Adrift. Bzw. wie Mastodon. Schwamm drüber. Zurück zum Thema:
„It’s All Over (For You)“ macht genauso weiter, wie „Lost Silver“ aufgehört hat, hier hören wir jetzt aber kein Klavier, sondern die Gitarre macht den größten Teil der Arbeit, mit dezentem Sägen und schönen, unauffälligen Solopassagen, das Keyboard tritt in den Hintergrund, ist aber trotzdem schön präsent, und Garrett orientiert sich erstmal weiter an Steele. Die Texte sind düster und mysteriös, ich meine jedoch ein wenig Kritik am Zustand der Welt, dem Kapitalismus und der fortschreitenden Technologiehörigkeit herauszuhören.
Mit „LATW2G“ (Lauging All The Way To The Grave) verlässt Garrett dann Steeles Fußstapfen und betritt, ach quatsch, stürzt sich mit Vehemenz in die von Iommy, Butler, Osbourne & Ward, und macht deutlich, dass Neon Nightmare näher am Heavy Metal (konkret am Doom Metal alter Schule) dran ist als Type O Negative und sich dadurch allem Eklektizismus zum Trotz ein schönes Stück Eigenständigkeit erarbeitet. „LATW2G“ lebt von sabbathigen Riffs und ozzymäßigem Gesang (wenn auch in einer tieferen Stimmlage), und mittendrin hören wir ein trauriges Keyboardgeklimper, das die Brücke von Birmingham nach Brooklyn schlägt, also quasi die Brooklyn Brigde. Das Stück klingt dann mit der ewig wiederholten Titelzeile, epischem Chorgesang und einer simplen, dafür umso wirkungsvolleren Sologitarrenmelodie langsam aus, bis es nach knapp 8 Minuten dann tatsächlich zuende ist. Tolles Klavier am Ende wieder.
Und dann volles Brett Sabbath-Riff: „They Look Like Shadows“ könnte locker auch auf „Master Of Reality“ oder „Vol. 4“ enthalten sein. Und Garrett singt hier weniger gotisch und dafür mehr rockig als bislang, seine Darbietung bewegt sich irgendwo zwischen Glenn Danzig und Daylor, Hinds & Sanders von Mastodon. Wann machen die eigentlich mal was Neues? Okay, das ist hier nicht die Frage, hören wir also weiter:
„She’s Drowning“ wartet mit einem ganz hervorragenden Bassintro auf (Wo Bass? Hier Bass!), in das sich dann ein wirklich schöner Synth reinmischt, dann fängt Garrett auch schon zu singen an, hier wieder hörbar gotisch. Derweil der Bass im Hinter- und teilweise auch im Vordergrund wunderschön melodisch grummelt. Kaum Gitarre hier, irgendwann hört man sie akustisch, düster und mit ordentlich Hall, bis sie bei der Hälfte des Tracks dann auch noch ein schönes Solo zum Besten geben darf. Auch hier greifen Garrett, Garrett, Garrett, Garrett & Garrett (Einmannprojekt, hatte ich schon geschrieben, oder?) wieder zum Stilmittel „Letztes Drittel ist Outro“ und lassen alle Instrumente schön slow, deep and hard aufeinanderprasseln. Soo was Schönes! Mein Freund und Kollege Carsten meinte neulich, dass diverse Passagen von „Faded Dream“ bei ihm als Type-O-Negative-Fan geradezu Glücksgefühle auslösen, und diese grandiosen Outros sind mit Sicherheit solche Passagen.
Das letzte Stück, „Promethean Gift“, dauert knappe 10 Minuten, und daher gibt Garrett ihm Zeit, sich langsam aufzubauen, und zwar sehr gitarrenbasiert. Knirschendes Quietschen und wunderschön doomiges Riffing geben Garretts sehr im Hintergrund befindlichem Gesang die Klinke in die Hand, alles passt auf Vortrefflichste zusammen und will laut gehört werden. Garrett singt hier eher leise, an manchen Stellen bricht es aber aus ihm heraus und er croont röhrend wie Glenn Danzig in seinen besten Zeiten, immer wieder aufgefangen von höherer Riffkunst in der Art und Weise von Tony Iommy. Großartige Instrumentalkunst, tolle Melodie, schöner und kraftvoller Gesang und dazu eine Stimmung aus Düsternis und Energie, die die Hörenden im Gegensatz zum ebenfalls gotischen Kölner Dom nicht in pathologische Inferioritätsanmutung und depressive Verstimmungen hineintreibt, sondern wahnsinnig glücklich macht – die knapp 10 Minuten vergehen wie im Flug.
Also Spirit Adrift ist schon eine tolle Band, aber mit ihren sechs Alben hauen sie mich beileibe nicht so um wie Neon Nightmare – ich hoffe, hier kommt noch mehr.