Von Matthias Bosenick (01.11.2018)
Musikalisch ruhiger als der Vorgänger „Blank Project“, teilt das neue Album „Broken Politics“ mit jenem die Initialen und den Produzenten, nämlich Kieran Hebden alias Four Tet. Mit ihm will Neneh Cherry eigentlich den Sound aus Bristol von vor 20 Jahren fortsetzen, ihren eigenen zu Zeiten ihres Albums „Man“ mithin, und holt sich dafür sogar 3D von Massive Attack an Bord, aber zum Glück gelingt ihr das nicht, sondern etwas Anderes, Eigenes: Ein Protestalbum gegen die Zustände dieser Zeit mit einem ruhigen, minimalistischen, nicht wirklich trippigen, aber schönen Dutzend Songs, die nur selten die akustische Keule auspacken, dafür aber beständig die inhaltliche.
Zwar war der originäre Trip Hop auch karg, arbeitete aber zumeist mit einer Sampledichte, die den Songs eine kontinuierliche Dringlichkeit gab; darauf verzichtet Cherry hier, sondern generiert mit dem Synthesizer eigene reduzierte Sounds und lässt ihrer Stimme den Raum, die ihre Inhalte brauchen. Anders als noch beim Vorgänger lässt Cherry dieses Mal sogar den echten Schlagzeuger (und damit das Duo Rocketnumbernine) weg, der das Synthiealbum „Blank Project“ so organisch und jazzig machte. Der Jazz tritt nunmehr erst bei Track Nummer 7, „Natural Skin Deep“, ungefähr so deutlich zu Tage wie auf den Free-Jazz-Projekten mit The Thing: Das Stück ist beatlastig und wuchtig und beinhaltet wohlige Jazz-Samples, von Ornette Coleman nämlich.
So ganz weg sind Rocketnumbernine indes nicht, einer der Brüder, Benjamin Page, ist an „Faster Than The Truth“ beteiligt. Die Prominenz einer Gastsängerin wie Robyn auf „Blank Project“ hat hier wohl Robert Del Naja alias 3D von Massive Attack, der sich in der Vorabsingle „Kong“ verewigte. Ansonsten sind die Mitmusiker eher weniger bekannt, vielleicht gerade mal aus Gruppen wie Mattafix oder The Last Poets. Hauptsongschreiber wiederum ist einmal mehr Cherrys Gatte Cameron McVey, mit dem sie schon während ihrer Solopause in den Nullern das Projekt cirKus betrieb.
Nun zaubert dieses Team eine ganze Menge großartiger Musik, doch liegt viel Ohrenmerk auf den Texten, und darin tobt sich Cherry weit nachdrücklicher aus als in den bewusst zurückhaltenden Sounds. Es geht um aktuelles Weltgeschehen und ihre Haltung dazu, um Flüchtlingskrisen, um Kriege, um die Forderung nach Mitmenschlichkeit. Mit ihrer rauhen Stimme bringt sie das ausdrucksstarke Vehikel für diese rauhen Themen mit, im Kontext der kargspröden Musik fügt sich alles zu einer überraschenden Melange aus Schönheit und Nachdrücklichkeit.
Das Coverfoto schoss Wolfgang Tillmans, typisch scheinbar schnappschussig und mitten aus dem Leben, in einer Straßenszene, die Cherry mit einer Yuccapalme unter dem Arm und wehenden Haaren vor wartenden Autos zeigt. Das trifft den Geist des Albums recht gut. Nun bleibt abzuwarten, wann das Remix-Album dazu herauskommt, und sei es nur als Deluxe-Edition von „Broken Politics“.