Von Matthias Bosenick (27.04.2015)
Helge Schneider ist nicht zu fassen, und das gilt für sämtliche Bedeutungen dieser Wendung. Das ist gut für ihn als Künstler, weil seine Unberechenbarkeit ein wichtiger Grund dafür ist, ihn zu mögen (wenn man ihn denn mag), aber schlecht für diese Dokumentation, weil sich der Gegenstand derselben dem Dokumentiertwerden entzieht. Sicherlich liegt das Versagen der Regisseurin, einen stringenten, repräsentativen, zusammenhängenden und dichten Film über den 59-jährigen Schneider zu produzieren, in Schneider selbst begründet. Trotz der tollen Ausschnitte aus Schneiders Bühnenprogramm, Werdegang und semiprivatem Gebaren stellt sich daher die Frage nach dem Sinn des Films. Wenigstens kommen Fans mit neuen Zitaten ihres Entertainmenthelden aus dem Kino, dafür immerhin lohnt sich das Betrachten des ansonsten leider schalen Werks.
Wer Schneider, von seinen Fans schlicht „Helge“ genannt, mag, muss ihn für diesen Film nicht erklärt bekommen, alle anderen finden ebenfalls nur eine Bestätigung dafür, mit ihm nichts anfangen zu können. In dieser Doku nennt Schneider selbst sein Konzept: Einfach sein – und unvorhersehbar. Auf diese Weise macht er Jazz ebenso wie Humor, und er bezeichnet sich hier sogar selbst als Clown. Mit seiner Art Humor weicht er indes von dem sämtlicher Kabarettisten, Comedians, Blödelbarden und sonstiger Gaglieferanten komplett ab, Helge ist einmalig. Und scheidet die Geister. Was dem einen albern vorkommt, ist dem nächsten der Gipfel der Subversivität.
So subversiv nähert sich Schneider auch dem Dokumentatorenteam. Eine der ersten Sequenzen zeigt ihn in der Interviewkonstellation. Auf die Frage, woher er seine Freiheit hat, sagt er, dass man sie nicht hat, sondern sie sich nehmen muss, steht auf, sagt „tschüss!“ und geht. Diese abweisende Haltung erläutert er später im Film: Er müsse ein Geheimnis sein, um interessant zu bleiben; das bleibt er dann auch konsequent. So ergeben sich für den Film nur sehr wenige wirklich exklusive Szenen mit Schneider. In Spanien auf dem Motorrad mit Beiwagen, auf der Ruhr um Ruderboot, am Set von „00 Schneider: Im Wendekreis der Eidechse“, bei Bühnenproben, zu Hause bei der Arbeit oder in einem schwarzen Studio zum Interview. Er offenbart kaum etwas, gibt sich verschlossen, nicht mal wirklich unterhaltsam, und verhöhnt im Grunde das Filmteam. Sicherlich macht auch das eine Aussage über den Künstler, aber sie erschöpft sich recht schnell und führt eigentlich eher die Hilflosigkeit der Filmer vor als Schneiders aktive Nichtbereitschaft zur Kooperation.
Dabei unterlässt es Regisseurin Andrea Roggon auch noch, die Sequenzen zeitlich transparent zu machen. Alles steht nebeneinander. Damit ein ganzer Film daraus wird, füllt sie die Lücken mit Ausschnitten aus Schneiders ersten beiden Filmauftritten „Johnny Flash“ und „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“. Weitere Hinweise auf Schneiders Werdegang bekommt man nicht, damit hätte sie sich diese beiden Ausschnitte auch sparen können.
Wenn Schneider also nichts preisgibt und die festgehaltenen Aufnahmen bis auf wenige Ausnahmen (die Modenschau in der Wüste etwa) fast leer wirken, muss halt Helge auf der Bühne her. Okay, die Auszüge sind auch wirklich gut. Besonders die mit der Beatboxerin Butterscotch, die im „Eidechsen“-Film eine Taxifahrerin spielte: Zusammen performen sie erst spontan und dann einstudiert. Die erste Szene zeigt einen Schneider, der einmal nicht der Bandchef ist, sondern sich seinem Gast unterzuordnen weiß; ein seltener Moment. Danach brillieren beide als Musikerteam, indem sie höchst beeindruckend „Ich drück die Maus“ darbieten. Sehr intensiv sind die Szenen gegen Schluss, als die Kamera dem Publikum einer Helge-Show minutenlang ins Gesicht blickt: Zwischen Schnappatmung, Fassungslosigkeit und Abscheu reichen die Reaktionen, mit dem Hauptgewicht auf ersterem. Man lacht laut über die Making-Ofs einer Sendung namens „10 vor 11“ mit Alexander Kluge, die aber nicht weiter erläutert werden, und über eine absurde Pressekonferenz, bei der eine Heerschar von Fotografen Schneider dabei ablichtet, wie er auf einer Spielzeugrakete reitet.
Was fehlt, ist die Struktur, der Überbau. Wenn Schneider den nicht bietet, hätte es sich vielleicht angeboten, seine Wegbegleiter zu Wort kommen zu lassen. Es gibt selbst fürs Fernsehen weitaus bessere Dokumentationen über den Mülheimer Multiinstrumentalisten als diese – es ist also möglich, sich ihm zu nähern, man muss es offenbar nur wollen. Oder er muss es zulassen. Was tut man also, wenn man merkt, dass das nicht möglich ist? Den Film dann trotzdem herausbringen und das Publikum enttäuschen. Nun gut, wenn es so sein soll, dann ist die Kritik eben gerechtfertigt. Schulterzuckend wendet sich der Filmgucker dem Internet zu und wird in Sachen Helge reichhaltiger fündig.