Mt. Oriander/Amid The Old Wounds – Split – Time As A Color 2024

Von Matthias Bosenick (01.10.2024)

Der Herbst ist da, und mit ihm ein passender Soundtrack: Melancholie, Innerlichkeit, Selbstreflexion, Einkehr transportieren die drei Songs, die die zwei Emos Mt. Oriander alias Keith Latinen und Amid The Old Wounds alias Daniel Becker auf dieser Split-7“ zusammentragen. Während letzterer das Singer-Songwritertum solo an der Akustischen auslebt, präsentiert sich ersterer voll instrumentiert im milden Shoegaze-Indierock-Gewand. Die schönen Songs wären noch schöner mit einem etwas unschrägeren Gesang, aber irgendwie passt das ja auch in den Herbst, nech!

„You Chip Away Everything That Isn’t An Elephant“, was für ein Titel! Man braucht ungefähr so lang, ihn zu lesen, wie die A-Seite von Mt. Oriander dauert: über sieben Minuten nämlich, da ist sogar die B-Seite mit zwei Songs von Amid The Old Wounds – „Field Of View“ fast vier und „Hypothetically Speaking I“ etwas über eine Minute – kürzer als das. Mit leicht angefolktem, introvertiertem Indierockklimpern startet der Song von Mt. Oriander und entwickelt sich dann zum Shoegaze, schräge Gitarren, schleppendes Tempo, schöne Melodie, so könnte es bleiben, doch fährt Latinen den Noise wieder herunter, um seine Inhalte – Geschichten aus seiner Kindheit – singend vorzutragen, und, man will ihm nicht nahetreten, aber das hätte er vielleicht jemand anders überlassen sollen, denn sobald er seine Stimme in die Höhe treibt, ist sie diesen Noten nicht mehr gewachsen. Die Musik, zurückgelehnt und verträumt, verschleppt, verschlossen, erinnert an die der Band Wheat auf ihrem 1997er-Debüt „Medeiros“.

Ebenso stimmlich etwas herausfordernd ist Becker inmitten seiner alten Wunden, mit einem Gesangsvortrag zwischen Markus Acher von The Notwist und Dirk von Lowtzow von Tocotronic, was ja für sich erstmal einigermaßen sympathisch ist, aber da es bei Amid The Old Wounds außer der Akustischen keine begleitende Musik gibt, geht der Gesang in nichts unter, sondern bleibt bestimmend. Das Gitarrenspiel ist dazu sehr einfach gehalten, lediglich spärliche Akkorde oder gar Einzeltöne errichten die Songs, keine filigranen Spielereien, eher so Neofolk als Lagerfeuer oder Musikakademie. Seine dunklen Lieder handeln von Verlust und Akzeptanz und sind ähnlich selbstreflektiert wie das auf der A-Seite.

Bei Mt. Oriander handelt es sich um das Solo-Projekt von Keith Latinen aus Michigan, das er vor gut drei Jahren ins Leben rief. In den Nullern und Zehnern war er Teil der Emo-Band mit dem komplexen Namen Empire! Empire! (I Was A Lonely Estate) und spielt nun in der Emo-Revival-Supergroup Parting mit. Als Amid The Old Wounds trat der Münchener Daniel Becker 2020 auf den Plan, zudem ist er Mitglied bei den Emorockern Duct Hearts sowie der Emo-Indierockband Wishes On A Plane. Das handgezeichnete Cover steuerte Tommy Lester bei, der als Diddum Doodles unter anderem für die Band Chalk Hands arbeitet. Interessant sind hier noch die beiden blauen Vinyl-Varianten, eine schöne optische Ergänzung zu den dunkel-herbstlichen Songs.