Von Matthias Bosenick (06.02.2016)
Fast zwei Jahre zurück liegt die Veröffentlichung der vierten und bislang letzten Episode der „Morgenstern“-Serie von Raimon Weber, jetzt erfolgt eine neuerliche Marketingkampagne dafür. Unklar ist, ob es neue Folgen geben soll, denn die vierte endet mit einem Cliffhanger. Bei „Morgenstern“ handelt es sich weder um ein Hörbuch noch um ein Hörspiel, sondern um eine Mischform, die inszenierte Lesung nämlich, und wenn man Vertreter wie „Der Butler“ oder „The Return Of Captain Future“ kennt, stellt man fest, dass es auch in dem Genre Unterschiede gibt, denn „Morgenstern“ hat nicht wie jene einen Hauptleser und für jeden Charakter eine Stimme, sondern nur eine Stimme und dazu Soundeffekte. Wenn man sich darauf einlässt, bekommt man eine ziemlich hard-boiled Krimi-Geschichte um einen – na klar – zum prekären Privatdetektiv gewandelten Ex-Polizisten, der in eine Art übergeordnete Verschwörung gerät. Hier punktet weniger die Spannung als die Art und Weise, wie die teils verstörenden Elemente zusammenhängen.
Zunächst klingt es etwas schrullig, dass die Serie in Potsdam stattfindet. Ausgerechnet. Nun liegt aber Berlin in der Nähe und ist Potsdam auch historisch nicht unbeleckt, also schon mit Fug und Recht ausgewählt. Chris Morgenstern sieht sich in Folge 1, „Leben und Sterben“, diversen Geschehnissen ausgesetzt, die erst im Verlauf miteinander verwoben sind. Vordergründig geht es um Crystal Meth. Er muss erkennen, dass er verschiedenen Finten aufgesessen ist und dass sich selbst die offensichtlich klaren Finten als weitere Finten herausstellen. Über allem thront eine omnipotente Stimme am Telefon, die auch in den folgenden Folgen die Fäden in der Hand hält: „Todeszone Sinai“, in der es um verschwundene Mediziner und illegalen Organhandel geht, „Blutige Eiszeit“, in der sich ein brandenburgisches Dorf mit der weißrussischen Mafia angelegt hat, und „Die Axt“, in der ein mexikanisches Drogenkartell die Potsdamer Polizei infiltriert. Morgenstern hat hier offenbar sowohl seine lebensbedrohlichen Umstände als auch seine jeweilige Rettung der anonymen Stimme zu verdanken.
Der abgehalfterte Privatschnüffler, der für ein bisschen Kohle jeden Scheißjob annimmt, ist jetzt nun wirklich keine neuartige Idee mehr; Sam Spade wird bald 100 Jahre alt und hat eine immens lange Nachfahrenliste. Sei’s drum, man lasse sich unbenommen auf Herrn Morgenstern ein und verfolge ihn beim brotlosen Flirt mit der Bäckerin, beim Saufen in der Stammkneipe, beim Schnack mit seinem Statisten-Kumpel vom Filmstudio Babelsberg und beim ermittlungsdienlichen Indizientausch mit seinem alten Chef bei der Polizei. Dem Autor Weber gelingen hier anschauliche Nebenfiguren, die das Bild Morgensterns lebendiger zeichnen als das vergleichbarer Detektive. Sprecher Olaf Reitz versieht sie mit unterscheidbarem Sprachduktus und schafft so im Rahmen der beschränkten Darbietung ein Mindestmaß an Abwechslung. Die Fälle selbst sind streckenweise weniger spannend im Hinblick auf die Frage, ob Morgenstern die brenzlige Situation meistert, sondern vielmehr, warum das alles gerade geschieht. Die verschwörerischen Hintergründe lernte Weber bereits als Autor für „Gabriel Burns“, „Mindnapping“, „Darkside Park“ und „Point Whitmark“ zu kreieren.
Nun muss man sich aber auf den Einzelsprecher einlassen können. Es gelingt ganz gut, das Kopfkino einzuschalten, weil die Geschichten zwar nicht brillant sind, aber anschaulich ausgearbeitet. Doch hetzt Reitz gelegentlich durch sein Skript und lässt nicht die Pausen oder Ruheszenen, die es vergleichsweise in „Gabriel Burns“ gibt. Man fragt sich zuletzt auch, warum diese Geschichten nicht als Hörspiel ausgearbeitet sind; das Potential für actionreiches und blutiges Kopfkino haben sie; die reine Lesung nimmt den Geschehnissen oft die Wucht, manches wirkt unangemessen beiläufig. Immerhin ist es gut, dass Reitz keiner dieser ausgelutschten Sprecher ist, der gleichzeitig in einem Dutzend Hörspielserien seine gleichklingend markanten Sätze fallen lässt. Die Sache mit den authentischen Geräuschen stellt zudem den begrüßenswerten Unterschied zum reinen Hörbuch dar.
Zu jeder Episode veröffentlichte Weber übrigens jeweils ein E-Book sowie zusätzlich und noch ohne Vertonung eine Episode Null, „Ich war tot“, über die Umstände, wie Morgenstern die Polizei verließ. Leider bleibt offen, ob die Serie nun doch fortgesetzt oder lediglich erneut auf den Markt geworfen wird; darüber schweigen sich alle Beteiligten aus. So bleibt „Morgenstern“ eine interessante und spannende Entdeckung, die man mit dezenten Abstrichen goutieren kann.