Mordsgeschichten auf der Oker – Saisoneröffnung am 3. Mai 2025 mit Till Burgwächter

Von Guido Dörheide (04.05.2025)

Rund 20 Interessierte fanden sich zur ersten „Vorlesung“ (sic!) der 2025er „Mordsgeschichten auf der Oker“-Saison ein und damit war das Boot gut gefüllt. Bei wolkigem Himmel und maikühlen Temperaturen stachen wir pünktlich um 20 Uhr in See, bzw. begannen, uns den Oker-Umflutgraben mit pubertierenden halbstarken Stockerpeln, von denen der eine beiging, seinen Kumpel fortwährend mit dem Kopf unter Wasser zu drücken – True Crime auf der Oker –, zu teilen, er ließ aber irgendwann von seinem Kontrahenten ab und alle waren wieder beste Freunde. Unsere nächsten Gegner war eine Bande marodierender Graugänse mit „kleinen Enten“ (sic!), also eigenem Nachwuchs, im Schlepptau, die der Ansicht waren, die Oker wäre zu klein für uns beide, also für Gänsefamilie und Dichterboot. À propos Dichter: Der bekannte und beliebte Musikjournalist und Buchautor Till Burgwächter (bekannt und beliebt unter anderem durch „Hard & Dangerous – True Crime im Heavy Metal“, „Tillicus Glossicus Metallicus. Metal-Glossen aus der Hölle“ [am besten zu lesen inmitten einer Masse von Kerzen] oder seine im Reclam-Verlag (und zwar im schwarzen anstatt im gelben Einband) erschienenen 100 Seiten über Metallica, außerdem liest er in den Umbau-Pausen von Rock in Rautheim und veranstaltet das mehrmals jährlich stattfindende Heavy-Metal-Quiz in der Braunschweiger Metalkneipeninstitution „Klaue“) hatte heuer die Aufgabe und das Vergnügen, die anderthalbstündigen, während der gesamten Sommermonate von Mai bis September stattfindenden Mordsgeschichten-Kreuzfahrten auf der Oker zu eröffnen.

Wer Burgwächter schon einmal live erlebt hat, weiß, dass es in seinen Geschichten eher lustig als gruselig zugeht und er nicht nur das vorliest, was er weiland in zahlreichen Büchern niedergeschrieben hat, sondern zwischendurch immer Anekdoten von seinen Lesereisen und Veranstaltungen zum Besten gibt. So auch hier:

Nach der ersten Geschichte (aus „Hard & Dangerous“), die sich den Widerlichkeiten einer Amtsgerichtskantine widmete – Cordon bleu, außen verbrannt und innen noch gefroren, wer kennt diesen Klassiker der Unternehmens- und Behördenverpflegung nicht? –, erzählte Burgwächter von seiner Lesung auf der Leipziger Buchmesse. Vor seinem Beitrag zum Thema Heavy Metal wurden im selben Saal Gedichte zum Thema „Kann Salat Gefühle haben?“ (oder so ähnlich) vorgetragen, was in einer Geschichte über einen erkälteten Broccoli, der komplett durchgeregnet an einer Bushaltestelle stand, gipfelte. Entsprechend entsetzt, freute sich das Oker-Publikum über Burgwächters anschließende akribische Sezierung des ikonischen Judas-Priest-Videos zu „Breaking The Law“. Die Zuhörenden hatten Halford, Downing, Tipton, Hill & Holland, wie sie singend und tanzend eine Bank überfallen (und vor allem, wie Rob Halford die Brille eines seiner Opfer mittels seines Gesangs zum Zersplittern bringt) lebhaft vor Augen und hielten sich vor Schmunzeln die Bäuche. Weiter ging es mit den Braunschweig’schen Verbrechen, Enkeltrick inklusive, inzwischen war der Wendepunkt der Fahrt, das Wehr an der Eisenbütteler Straße, in das einst das Mordopfer in Hardy Cruegers „Der Flussmann“ hineinfiel, wenn ich mich richtig erinnere, erreicht und es wurde immer dunkler. Passend dazu erzählte Burgwächter, wie das Dichterfloß bei einer der vergangenen Fahrten einst vom Ufer aus von einem polizeibekannten, lendenschurztragenden Individuum verbal und gestenreich bedroht wurde. Die gesamte Situation war zwar skurril, aber im Endeffekt harmlos, und es bestand zu keiner Zeit eine Gefahr für die damaligen Fahrgäste, Burgwächter wusste die Geschichte jedoch in einer Art und Weise zu erzählen, dass echte Lagerfeuer-Gruselatmosphäre aufkam und jedes aus den Reihen der Zuhörer:innenschaft in die Dunkelheit geraunte „Ich seeeehe schon den Mann mit dem Lendenschurz!“ zu fortgesetzter Gänsehaut bei den Mitreisenden führte. À propos Mitreisende: Zwischen Burgwächters Geschichten blieb auch immer wieder Zeit für Gespräche und Austausch, so wurde zum Beispiel, als der Autor eine Reise in den Hamburger „Goldenen Handschuh“ erwähnte, das gleichnamige Werk von Heinz Strunk gemeinschaftlich analysiert, kommentiert und mit verteilten Rollen rezitiert.

Inzwischen war es stockdunkel und so war es eine gute Idee von Till Burgwächter, den Grusel nicht weiter zu befeuern, sondern die wirklich lustige Geschichte über jemanden, der wirklich (WIRKLICH!) nicht (NICHT!) mit dem Autor identisch ist und dem nach einem von Substanzengebrauch vernebelten Bruchstraßenbesuch die EC-Karte abhanden kam. Am Ende der Geschichte versicherte Burgwächter traditionell, dass er nicht der Protagonist der Geschichte ist, sondern sie von diesem persönlich erzählt bekommen hat.

Zum Schluss gab es noch einen Auszug aus Burgwächters Buch über schlechte Horrorfilme zu hören, in dem in deutlichen und wie nicht anders zu erwarten lustigen Worten vom Konsum der Filme „Twixt“ von Francis Ford Coppola mit Val Kilmer in der Hauptrolle (2011) und „Die Zahnfee wird dich holen“ (2019) abgeraten wurde. Ich hatte wegen der vom Okerfluss heraufziehenden Kälte und ansonsten auch einfach so die Arme um die Liebste gelegt und bemerkte, wie diese auf einmal vor Lachen zu erzittern begann. „Ich habe alle beide Filme gesehen! Bis zum Ende! Weil ich dachte, da kommt vielleicht noch was.“ Es kam aber nicht und so war sie sich in ihrem vernichtenden Urteil über beide Filme mit dem Dichter mehr als einig. Nach gut anderthalb Stunden erreichten wir die Floßstation unterhalb der Brücke an der Kurt-Schumacher-Straße und gingen gut gelaunt und bestens unterhalten von Bord.

Folgende Autorinnen und Autoren lesen 2025 bei „Morgdsgeschichten auf der Oker“:

Julia Jorges
Till Burgwächter
Armin Rütters
Hardy Crueger
Thomas Ostwald
Axel Klingenberg

Weitere Infos und Reservierung unter Okertour