Modern Cubism – …tout le firmament autour – Emmo.biz 2012

Von Matthias Bosenick (20.07.2012)

Während sich also eines der bei Front 242 für die Musik zuständigen Bandmitglieder bei Nothing But Noise austobt, singt einer der Sänger eben auch anderswo. Jean-Luc de Meyer tobt sich aus, wo er nur kann, und er kann viel. Ein Projekt wie 32Crash könnte er sich zwar beinahe sparen, aber dafür mit anderen Projekten wie C-Tec oder Cobalt 60 mal wieder aktiv werden. Nicht auf dem Schirm hat der geneigte Fan indes das Projekt Modern Cubism, mit dem de Meyer 2008 das Album „Les plaintes d’un Icare“ und 2009 die Live-CD „Live Complaints“ veröffentlichte. Eine sträfliche Vernachlässigung, denn die Alben sind großartig, und nicht minder großartig ist, dass de Meyer und sein Compagnon Jean-Marc Mélot dieser Tage ganz überraschend ein zweites Studioalbum nachlegen, mit formidablem, latent dunklem Elektropop und Texten des belgischen Dichters Norge (Georges Mogin).

Ja, Elektropop, und nicht EBM. Die Sounds sind beim besten Willen nicht zeitgemäß trendy, wie sie es bei anderen Bands und Projekten sind, die im EBM-Sektor seit Jahren die Tanzflächen füllen. Darauf legen es de Meyer und Mélot gottlob nicht aus. Keine harschen Sounds, keine messerscharfen Beats. Vielmehr klingen die Sounds bisweilen gar veraltet. Nicht immer sind die Stücke zeitlich genau zu verorten, sie könnten häufig auch viel älter sein. Doch ebensowenig springen die beiden Belgier damit auf den parallel losbretternden Retro-Zug auf, denn sonst gäbe es mehr Ähnlichkeiten zu Front 242. Mélot gelingen positiv-euphorische, obgleich dunkle Atmosphären, Arrangements, Sounds und Melodien, wie man sie aus seligen Chartstagen der 80er kennt; sie klingen aber – trotz auch mal ans Anstrengende grenzender Fanfaren – nicht nach den 80ern. Es gibt diese Art, Musik zu machen, heute kaum noch bis gar nicht mehr. Dazu passt, wie de Meyer singt: Es shoutet nicht wie ein EBM-Sänger, trällert aber auch nicht wie ein Popstar. Er presst die Lyrik dramatisch heraus und passt sich damit perfekt der Musik an. Eine schöne Einheit, die einmal rund ums Firmament zu reichen scheint.

Trotz aller Dramatik fügen Mélot und de Meyer in ihren Albumfluss viele auch tanzbare Stücke. Sie fallen aber nicht vordergründig als Clubhits auf, weil sie eben deren moderne Kriterien nicht erfüllen. Dafür gibt es die „Club EP“, mit drei Remixen, die allerdings ebenfalls nicht nach aktuellem Bummbumm klingen, sowie dem ohnehin ohrwurmtauglichsten Albumstück „D’enfance“. Das Album selbst ist auf nur 888 Exemplare limitiert, kommt aber in zusätzlichen 111 Ausgaben in einer schönen schwarzen Schachtel mit der „Club EP“, einem Patch und einem T-Shirt. Offenbar ahnen alle Beteiligten, dass kaum jemand das Projekt auf dem Schirm hat. Wie gesagt: sträflich!

Seltsam ist nebenbei die Haltung der versammelten Gruft-Postille, die zwar artig die Musik lobt, sich aber ausnahmslos daran stört, dass de Meyer die Texte im französischen Original singt. Als könnten die Schwarzkittel so gut Englisch, dass sie da absolut textsicher sind. Als wären englische (oder gar deutsche?) Texte in sich schon ein Qualitätsmerkmal. Als brächten sie dieses Argument bei ihren sonstwiesprachigen Lieblingsbands auch an. Als wäre es relevant, die Texte zu verstehen, um die Einheit aus Musik und Gesang einfach nur fabelhaft zu finden. Bei dem Scheiß, den sie ansonsten so loben.

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