Von Matthias Bosenick (23.10.2016)
Moby ist derbe angepisst. Er findet die Welt scheiße und brüllt dies auch raus. Zu einer Musik, die man nach 17 Jahren Jammerpop nicht mehr von ihm erwartet hätte: Postpunkige Gitarre, stumpfe Beats, technoide, fast an EBM oder wavigen Synthiepop gelehnte Elektroeffekte, Lärm, Tempo, In-die-Fresse. Ganz ohne seine Trademarksounds geht’s nicht, aber in diesem Kontext heben sie sich positiv vom handelsüblichen Achtzigerretrosound junger Postpunkepigonen ab. Und das, als man gerade denkt, nie wieder etwas von Moby seiner Sammlung hinzufügen zu wollen. Das war knapp, Richard Melville Hall!
Ein schöner Spagat gelingt Herrn Moby hier. Einerseits gräbt er seine eigenen Wurzeln wieder aus, die bekanntermaßen im Punk liegen, wovon zuletzt vor 19 Jahren das herrliche Album „Animal Rights“ Zeugnis ablegte, und andererseits reichert er seine Version des Punk mit seiner Version von Elektro an, ohne dabei nach Electroclash oder Frittenbude zu klingen, sondern einfach nur nach sich selbst. Moby hat eine eigene Melodiefindung, die bisweilen etwas simpel, cheesy, crowdpleasing ist, aber nun mal zu Moby gehört. In Verbindung mit dieser Musik erfrischen sie den Lärm, den Moby hier anzettelt.
Und wie er lärmt. Er bölkt seine Texte heraus, dazu brummen die Gitarren, tickert und wummert das künstliche Schlagzeug, jubilieren die Keyboards. Ein so dichter Sound, der gleichzeitig differenzierbar ist, gelang Moby lang nicht mehr. Man stelle sich etwa „We Are All Made Of Stars“ ohne die melancholische Sehnsucht vor. In dem Krach geht sein Co-Interpret, der Void Pacific Chor, sowieso unter. Bei dem singt der Mann selbst mit, die Nennung ist also eigentlich mehr ein Gimmick, das dieses Album vom bisherigen Oeuvre auch auf dem Cover schon absetzt, als eine wirkliche Kollaboration.
Neue Hymnen für den Widerstand, Singalongs mit Haltung, Party mit Inhalt, tanzbare Aggression, weicher Hardcore: „These Systems Are Failing“ ist Mobys bestes Album seit 1999. Damals war der Sound von „Play“ noch neu, doch variierte er den auf den folgenden Alben lediglich, weil er damit nun mal Erfolg hatte. Kreativ war das schon lang nicht mehr. Es folgten „18“ (weder an Hitler noch an die FDP angelehnt), „Hotel“, der Clubnachtversuch „Last Night“, dann „Wait For Me“, „Destroyed“ und „Innocents“. So viele Alben mit abnehmender Klasse, dass man die Hoffnung verlor und Moby aufgab. Bis das Video zu „A Simple Love“ durchs Netz schwirrte.
Dieses Mal verzichtet Moby übrigens komplett auf seine sonst obligatorischen Ambientpassagen: Im Auspennen lebte er sich im Februar bereits aus, auf „Long Ambients 1: Calm. Sleep“, einem dreieinhalbstündigen Online-Album. Von „These Systems Are Failing“ gibt es denoch eine limitierte Fassung, mit 3D-Cover und drei Bonustracks, darunter die dunkel-synthiepoppige Vorab-Single „Almost Loved“ mit Gospelgesang, Rätsel der Veröffentlichungspolitik.
Für Leute, die die große Spannweite von Mobys Musik aus den Neunzigern vermissen, wie er sie zuletzt in aller Konsequenz auf seinem ersten Hit-Album „Everything Is Wrong“ auslebte, ist „These Systems Are Failing“ wie ein Comeback zu werten, mit integrierten späteren Elementen, also ein Comeback mit Weiterentwicklung. So viel Freude in nur einem Album. Gleich beim ersten Hören. Hat das Zeug, in die Top-Drei der persönlichen Jahrescharts zu gelangen.