Von Matthias Bosenick (03.11.2023)
Ins Fach Alternative Metal sortieren sich Misty Route mit ihrem Debüt „Without A Trace“ selbst ein, da treten sofort Assoziationen hervor, irgendwie Neunziger, etwas Grunge, etwas NuMetal, und ja, das stimmt auch, doch überschreiten die Griechen die Grenzen der Gefälligkeit, indem sie auch die progressiv-komplexen Strukturen von beispielsweise Opeth oder Tool hinzuziehen. Das Trio veröffentlichte das in Griechenland aufgenommene und in Schweden von Göran Finnberg gemasterte Album vor zwei Jahren digital, das französische Bitume-Label bringt es jetzt physisch auf den Markt. Die Zeitreise, die man beim Hören antritt, reicht indes weiter zurück als diese zwei Jahre – einiges mag einem vertraut vorkommen, aber nicht in dieser Mixtur, die viele zurückgenommene Passagen mit wuchtigem und unvorhersehbarem Metal durchbricht. Ein wohlgefälliger melancholischer Mix, der es verschmerzen lässt, dass gelegentlich auch die unappetitlichen Metallica der Neunziger durchschimmern.
Einmal mehr erstaunt es, dass diese Musik wahrhaftig von lediglich drei Leuten eingespielt wurde. Gitarre, Bass, Schlagzeug und etwas Keyboard sowie eine Flöte sind alles, was die Athener hier einsetzen, und sie wissen dieses Instrumentarium einzusetzen! Das liegt vornehmlich an den Kompositionen, bei den Stücken handelt es sich nicht um schlicht heruntergerockten Mainstreammetal, Misty Route bauen überall Brüche ein, spielen an einer Stelle klare, zurückgenommene, fast loungige Musik, in manchen Fällen auch auf der akustischen Gitarre, nicht nur auf der unverzerrten elektrischen, und doch hört man der Musik an, dass da Metalmenschen am Werk sind, und dann treten ebenjene auf die Pedale, reißen die Verzerrgrade hoch und mosten los, ohne das Tempo zu verändern. An anderer Stelle geschieht wiederum genau das, plötzlich galoppiert das Trio davon, ändert abrupt die Richtung oder bricht die Takte, dass der Nacken beim Headbangen mitbricht. Elemente aus dem Radiometal der Neunziger finden zwar Einlass in das Album, doch bilden sie keine durchgehende Grundlage, sie treten dezidiert in Erscheinung und verbinden die progressiveren Passagen. Ein psychedelisches Wahwah-Solo darf da auch mal Bestandteil sein.
Ähnlichkeiten zu vertrauten Bands und Musikern lassen sich im Sound von Misty Route durchaus ausmachen, etwas von der progressiven Metal-Wucht von Opeth oder von den beklemmenden Strukturen von Tool. Hauptsächlicher Analogienlieferant ist indes der Sänger, der sie alle in sich trägt, von Klargesang bis Grummelknurren: Maynard James Keenan, Mikael Åkerfeldt, Layne Staley und auch James Hetfield, und dann klingt leider auch die Musik nach „Load“ und „Reaload“, aber das geht gottlob schnell wieder vorbei. Und er trägt diese Stimmlagen nicht ausschließlich, sondern passagenweise, sein eigenes Organ hat hinreichend Ausdruck und ist eben einfach sehr wandlungsfähig.
Alles zusammen ergibt keine Gute-Laune-Stimmung, und das ist gut so. Mediterrane Sonne dringt hier nicht durch, angesichts des überwiegend balladesken Tempos trägt „Without A Trace“ vornehmlich Melancholie in sich, in den expressiveren Momenten vielmehr Verzweiflung, gegebenenfalls etwas Wut. Erst kurz vor Schluss lassen die drei Musiker ganz unerwartet für einen Song ungezügelt den groovenden Thrash Metal von der Leine. Erst seit 2019 sind diese drei Musizierenden als Misty Route unterwegs: Lefteris Saatsakis singt und spielt Gitarre, Flöte und Keyboards, George Armando Konomi spielt Bass und Kostas Bacopoulos sitzt am Schlagzeug. Zumindest bei den Aufnahmen, seit September nimmt Konstantinos Kaloudis diesen Platz ein.
Misty Route hörten bei ihren Vorbildern gut zu, um aus den Einflüsterungen ein gelungenes Debütalbum zu destillieren. Gerade das macht den Reiz des Albums aus, dass so viele unterschiedliche Stile hier zum Ausbruch kommen. Damit erntete die Band bereits viel Zuspruch und empfahl sich damit für diese physische Wiederveröffentlichung. Album Nummer zwei wird dann eine Bewährungsprobe für die Eigenständigkeit der Band.