Misha Chylkova – Dancing The Same Dance – Gare Du Nord Records 2024

Von Matthias Bosenick (06.12.2024)

Ah, cool: Das Album „Dancing The Same Dance“ beginnt mit demselben Sample, mit dem es endet, und erfüllt damit einen der vielen Ansätze, den die in Tschechien geborene Londonerin Misha Chylkova ihrem Debüt zugrundelegt: das Konzept des Loops. Ein weiteres Konzept ist inhaltlich motiviert, nämlich die diversen Zustände der Liebe abzubilden, dargereicht aus einer persönlichen Perspektive. Mit ihrem Album-Auftakt gerät der Multiinstrumentalistin gleich ein formidables Werk für die Bestenlisten, zwischen trippig-elektronischen Kammerstücken bis zu ausgearbeiteten elegischen Popsongs. Und alles beginnt von vorn.

Ein kratziges Sample, dann Drones, unklare Soundscapes, dazu Chylkovas melancholisch-zurückhaltender, aber glasklarer Gesang: Damit legt der Opener „Coffee“ eine Fährte, von der die Künstlerin stante pede abweicht, denn noch bevor der Hahn dreimal kräht, also im zweiten Song „Love. Or.“, erwächst der Sound zu repetitiven Gebirgsmassiven – und lässt sich in „Will You?“ von einer Bandinstrumentierung ablösen. Der Übergang zu dieser traurig-trippigen Ballade wirkt fließend, denn auch mit Bass und Schlagzeug behält Chylkova die sphärisch-dronigen Hintergründe bei. Das passt so gut zusammen, dass man kaum glauben mag, dass dieser Song – zusammen mit der an sechster Stelle nachgereichten B-Seite „I Will“ – bereits 2021 als Vinyl-Single herauskam.

Während man noch grübelt, an wen die Stimme so erinnern mag, und man im Hinterkopf auf Beth Hirsch, Beth Gibbons, Nico, Siouxsie Sioux oder Louise Tækker von den leider viel zu kurzlebigen No Hay Banda kommt, schichtet sich „Will You?“ behutsam auf, intensiviert seine Fragmente, und man erwartet, dass er noch so richtig ausbricht, doch den Gefallen tut Chylkova einem nicht. Man muss schon bis zur sphärisch, aber munter beginnenden Single mit dem programmatischen Titel „The Loop“ warten, und selbst dieser Song lässt sich bis zur Hälfte Zeit, um das Tempo anzuziehen und zu einem lebendigen Popsong mit Wechselgesang und wavigem Anstrich zu werden. Diese musikalische Entwicklung überrascht und gefällt.

Trotz gesteigerter Energie verliert Chylkova ihre Zurückhaltung nicht, die Songs sind detailreich, erhebend, wohlfeil ausformuliert, aber nicht überfrachtet. Sie generiert eine melancholische Schönheit und bedient sich für ihre Atmosphären, die auch die instrumental üppiger ausgestatteten Songs stets mitführen, bei teils ungewöhnlichen Gerätschaften wie Autoharp, Harmonium, Akkordeon, Philicorda-Orgel oder E-Bow, die sie weitestgehend sogar selbst einspielt. In „Sparrows“ etwa, einer weiteren Single, generiert die Orgel eine Art Loop zur Janglegitarre und zum flotten Schlagzeug.

Auch das genannte „I Will“ fügt sich mit seiner an U2 aus der Zeit um 1984 erinnernden zurückhaltenden Gitarre und dem Harmonium-Loop in den Albumfluss ein, als wäre dies bereits vor drei Jahren genau so geplant gewesen. Es endet abermals mit dem Sample von In- und Outro, was diesen Eindruck nur verstärkt. „Doing It All Wrong“ ist ein flotterer, wenngleich mitnichten fröhlicherer Uptempo-Popsong, der strukturell an die Loop-Experimente von Matt Johnson alias The The in den Achtzigern erinnert. Wie Johnson fasziniert auch Chylkova damit, dass sie ihre als monoton erwarteten Loops auf eine Weise in die Songs einbaut, dass sie sie nicht unangenehm dominieren, sondern ihnen ein Fundament verleihen, auf dem sie ihre kompositorische Pracht entfalten. Einen Großteil dazu trägt der Gesang bei, diese schöne Stimme, die die Sängerin häufig doppelt und so mit sich selbst in Widerstreit geht.

„Dead Plants“ als dunkler Ambient-Track nimmt die Dichte zurück, doch verändert er die Stimmung damit nicht, die war schon vorher so dunkel. Wie aus dem Nichts mogelt sich ein Schlagzeug ein, das zuhörends intensiver wird und dem Song im Verbund mit den Atmosphären etwas Hymnisches verleiht. Mit der zerbrechlich wirkenden Bassfigur von „(Don’t) Go“ kehrt das Behutsame, Zärtliche in den Vordergrund zurück; bis auf eine Neil-Young-Gitarre aus „Le Noise“-Zeiten bekommt dieser Song kaum Zuwachs. Mit Regen und Kirchenglocken leitet Chylkova zuletzt den Titelsong ein, den sie allein zur Orgel und zum Piano einsingt – man ahnt, dass dies das Ende sein muss, und doch fährt sie nach ganz viel Zeit noch einmal das große Besteck auf und greift in die wehmutschwere Opulenzkiste, bis sie zum Anfang zurückkehrt und damit die Hörenden ja geradezu dazu auffordert, das Album noch einmal aufzulegen. Was sich ja auch lohnt.

Zwar gehen die Kompositionen komplett auf Chylkova zurück und spielte einen Großteil der Instrumente, von Gitarre und Synthies bis zu vielen der Exoten, selbst ein, doch holte sie sich zusätzliche Gäste ins Studio. Maßgeblich beteiligt war Darren Hayman, hauptsächlich bekannt von Hefner, aber auch Mitglied bei der Band von Rolling-Stone-Korrespondent Robert Rotifer, ebenso wie Schlagzeuger Ian Button, der seinerseits einen Anteil an „Dancing The Same Dance“ hat. Außerdem Beiträge leisteten Jonathan Clayton, Niccolò Avanzi (The Oranges) und Gabriele Arnolfo (Huge Molasses Tank Explode). Ah, cool!