Von Guido Dörheide (04.07.2022)
Egal ob solo oder zusammen mit Ashley Monroe und Angaleena Presley in der gemeinsamen Country-Supergroup Pistol Annies – ein neues Album von Miranda Lambert wird von mir immer mit großer Spannung erwartet und hat mich noch nie enttäuscht – im Gegenteil, sowohl die Pistol Annies als auch Lambert solo werden von Veröffentlichung zu Veröffentlichung immer besser. Der Einstieg in Lamberts Werk war für mich vor einigen Jahren der Song „The House That Built Me“ vom 2009er Album „Revolution“, der in dem Rolling-Stone-Artikel „50 Country Albums Every Rock Fan Should Own“ als möglicherweise bester Country-Song des noch jungen Jahrhunderts bezeichnet wurde und dadurch mein Interesse weckte. „The House…“, einen wunderschönen, sentimentalen Song über Lamberts Elternhaus und ihre Gefühle gegenüber ihren Eltern, habe ich seitdem gefühlt Hunderte von Malen gehört und es niemals geschafft, am Ende nicht zu heulen wie am Spieß.
Seitdem erschienen das monumentale Beziehungsbewältigungsdoppelalbum „The Weight Of These Wings“ (2016), „Wildcard“ (2019), das mit Jack Ingram und Jon Randall in coronabedingter Zurückgezogenheit unter Zuhilfenahme einiger hochprozentiger Getränke und einer Planwagenladung albernen Gekichers aufgenommene Akustik-Album „The Marfa Tapes“ (2021) sowie Pistol Annies „Interstate Gospel“ (2018) und deren 2021er Weihnachtsalbum „Hell Of A Holiday“. „Palomino“ ist Lamberts achtes Studioalbum seit ihrem offiziellen Majorlabel-Debüt im Jahr 2005, die Texanerin haut also haufenweise Alben raus und ich hoffe, das bleibt so.
Lambert schreibt bzw. co-schreibt ihre Songs selber, oftmals stehen ihr dabei die besagten Jack Ingram und Jon Randall zur Seite, ebenso wie Natalie Hemby und Luke Dick. Lamberts Stimme ist schön, hell, hat aber genau diesen gewissen leicht schneidenden Klang, der in meinen Augen (ja super Guido – immer rein mit der Stimme in die Augen!) so perfekt zum Country passt. Sie hat ein Gespür für mitreißende Melodien und ein vorwärts treibendes Moment – vor allem – in ihren schnelleren Songs.
Was mich besonders für Miranda Lambert einnimmt, ist, dass sie zwar haufenweise Pop- und Folk-Rock-Momente in ihre Songs einstreut, aber von allen supererfolgreichen zeitgenössischen unter 40jährigen Countrymusikerinnen diejenige ist, die am meisten im Country verhaftet bleibt, also sozusagen beide Arten von Musik beherrscht – Country und Western.
So – Lobhudelei schön und gut, kommen wir zu den Songs:
Zu allererst nimmt mich komplett wunder, wie das von mir überaus geschätzte popmatters.com zu dem Schluss kommen konnte, dass es unklar sei, warum Lambert das Album „Palomino“ genannt habe, da es keinen textlichen Bezug zu dem Pferd gäbe. Wäh? Eine Zeile im Refrain des Eröffnungsstücks „Actin‘ Up“ lautet „I wanna see the desert from a painted Palomino“, und der Refrain taucht nicht weniger als drei (3!) Mal in dem Song auf. Aber scheiß was drauf: popmatters.com sind es auch, die auf die tolle Aufzählung „gasoline, memories an nicotine“ sowie auf den superben Waylon-&-Willie-Bezug „So mamas, if your daughters grow up to be cowboys, so what“ hinweisen. Und was für eine unglaublich tolle Textzeile ist das!
Aber von vorne, weil nämlich die besagte Zeile bereits aus Song Nr. 12 („If I Was A Cowboy“) stammt. Song Nr. 1, also den mit dem gefleckten US-amerikanischen Pferd, hatten wir schon, Nummer 2 ist „Scenes“. Trucker und Hippes abschleppen, Gin trinken, Glücksspiel, Motelzimmer und immer weiter und weiter sich bewegen. Da sind wir nicht nur im Herzen von Country (es fehlen nur noch Regen, Mama, Gefängnis, Trucks, aber den trve spirit, Sprit, was auch immer, fängt Miranda Lambert wie immer sehr gekonnt ein.). Song Nummer 3 („In His Arms“) kennen wir schon von den Marfa Tapes, nur hier kommt er eben komplett instrumentiert daher – eine wunderschön schmachtende Liebesballade, auf der Lambert zeigt, dass sie nicht nur Uptempo-Songs über Drogenkonsum und wie scheiße die Kerle sind draufhat, sondern eben auch den gefühlvollen Krams. Und wie.
Song Nummer 4, „Geraldene“, ist ebenfalls schon bekannt von den Marfa Tapes. Dort war es ein ruhiges Lagerfeuer-Stück mit flehend-anklagend fast schon gekreischtem Refrain über eine Frau, die der icherzähenden Protagonistin den Mann ausspannen will. Reminds you of anybody? Na aber sure – hier hat Jolene Patin gestanden, die fiese Schlange, die dereinst von der übergroßen Dolly Parton angefleht wurde, ihr den Lebensabschnittsgefährten doch mal bitte zu belassen, weil es sonst scheiße wäre. In der maximalinstrumentierten Version klingt Lambert weniger flehend, sondern haut der vermeintlichen, ihr aber in keinster Weise gewachsenen Widersacherin die Wahrheiten um die Ohren, dass es wahrlich ein innerer Independence Day ist: Die titelgebende Dame von zweifelhafter Moral kommt erstmal herunter von Amarillo (immer gut in einem Country-Song, wir erinnern uns an „Am I Right Or Amarillo?“ von den Marfa Tapes), ihre truckstoproten Lippen ziehen an einer Zigarette und glänzen dabei wie die Speichenfelgen eines brandneuen Cadillac Eldorado – ABER: Geraldene ist eben nur „trailer-park-schön“, aber sie wird niemals Jolene sein. Wann jemals zuvor klang ein laut klatschender Schlag ins Gesicht der Widersacherin so überlegen und so wohlformuliert? Das unterstreicht Lambert noch mit dem folgenden „Don’t make me cause a scene now, Geraldene“, hier hat man es nicht mit einer sich eventuell unterlegenen fühlenden Kontrahentin zu tun, sondern eher mit dem Ferdinand Piëch unter den potentiell betrogenen Freundinnen („…und ich werde der Sieger sein!“). Danach hat die/der Zuhörende (und braucht das auch!) erstmal Zeit zum Durchatmen – der wunderschöne fünfte Song „Tourist“ handelt davon, dass sich die Protagonistin als Touristin nirgendwo so recht hingehörig fühlt, was aber auch irgendwie nichts macht, das Lied ist musikalisch und stimmlich echt wunderschön.
Danach erfolgt gewissermaßen der Südstaaten-Sündenfall: Song Nummer 6: „Music City Queen“ – routiniert gemachter und wunderbar instrumentierter Country-Rock, der Lamberts Stimme jede Menge Raum gibt, um zu glänzen wie die besagten Speichenfelgen des ebenso besagten wie betagten Ol‘ 55. Aaaaber: Es gibt da einen Backgound-Gesang. Der von den beiden Frauen ist wunderschön und über jeden verdammten Zweifel erhaben – er stammt von Claire Wilson und Kate Pierson von den geradezu gottgleichen B-52‘s aus Athens, Georgia. Aber die beiden Damen haben aus unerklärlichen Gründen ihrem Bandkollegen Fred Schneider ebenfalls erlaubt, sich auf dem Stück auszutoben, und wie schon bei vielen B-52‘s-Songs greift der tumbe Idiot hier bis zu den Schultergelenken in die braune Masse. Miranda, Cindy & Kate retten den Song dennoch.
Anschließend dann der in meinen Ohren einzige potentielle Filler-Track „Strange“ und selbst der ist noch toll, weil man einfach diese gute Stimme und die tolle Art, zu singen genießen kann. Danach folgt mit Stück Nr. 8 der „Duane Allman und John Lennon covern J.J. Cale mit Janis Joplin am Tambourin“-Moment: Auf der Coverversion von Mick Jaggers „Wandering Spirit“ singt Miranda Lambert alles bisher Dagewesene an die Wand – und die Musi spuit dazua. Selbst, wenn danach nur noch Abwaschgeräusche und „Revolution 9“ kommen würde – das Album wäre nahezu perfekt.
Aber Lambert haut auch danach noch weitere Ohrwürmer raus – alles weiter Song für Song zu besprechen, wäre Pedal Steels nach Nashville tragen, daher möchte ich mich hier nur noch über Song Nr. 13 – „Waxahachie“ (zu deutsch: Wockzehätschie) – und den Closer „Carousel“ auslassen: Ersteres Stück ist ebenfalls schon von den Marfa Tapes bekannt und ist ein wunderbares Beispiel für die Miranda-Lambert-typischen vorantreibenden, folkrockbeeinflussten Stücke. Ist ein apseluter Reinspieltipp. „Carousel“ ist ein totales Heulstück. Ja – sowas kann Miranda Lambert wirklich gut. Es ist ein Lied über eine Zirkusartistin, die irgendwann die Karriere an den Nagel hängt und obwohl sie später eine glückliche Mutter wird, vermisst sie ihren Co-Trapezkünstler Harlan und denkt jedesmal an ihn, wenn sie ein Karrussell hört. Und lächelt, wenn sie sich erinnert. Was für ein Finale!