Von Matthias Bosenick (30.04.2025)
Zwei Saxophonisten, ein Pianist, ein Kontrabassist und ein Schlagzeuger stehen im Hot Club de Lyon auf der Bühne, dem ältesten aktiven Jazzclub der Welt, und spreizen den Fächer vom Groove zum Free Jazz mit allerlei jazztypischen bis außergewöhnlichen Fassetten. Chef der Truppe ist Saxophonist Michel Fernandez, der sich mit dem Magnetic Orchestra zusammentat und es kurzerhand als sein Quintet ausgab, um zu fünft einen einstündigen Reigen aus Kompositionen aller Beteiligten in den historischen Saal zu zaubern.
Mit „La forêt de Bougarabou“ beginnt das Quintett beinahe jazzklassisch: Man fühlt sich in die Fünfziger, Sechziger versetzt, als die Jazzerneuerer damit begannen, aus den alten Wurzeln den freien Jazz erwachsen zu lassen, ohne dabei den Groove aus den Ohren zu verlieren. Im Grunde präsentiert sich die Band hier den Zuhörenden, denn jeder der fünf Musiker spielt seien Talente aus. Ans eigentliche Experimentieren, Freidrehen und noch tiefere Überraschen geht die Combo erst danach.
„Archie“ etwa beginnt damit, die Luft aus der Matratze zu lassen: Aus dem Überschwang des Openers wird eine extrem reduzierte Konzentrationsübung, die auf dem Kontrabass beruht. Das Tohuwabohu mit nach Art der Doppelhelix umeinanderschwirrenden Saxophonen bricht erst im Verlaufe des Stücks los. Dabei will die Band gar nicht erst die Idee von Jazz in nachmitternächtlicher einsamer Bar aufkommen lassen: In dieser Darbietung steckt das üppige Leben, chillige Momente bestärken diesen Eindruck nur.
Natürlich ist das alles auf diesem Livemitschnitt vorrangig Jazz. Und auch, wenn die Saxophone mal melodiebefreit quäken, etwa im Doppel-Solo in „High Life“, ist die Basis dieser Musik rhythmisch nachvollziehbar, die Musik also nicht komplett von allen Konventionen befreit. Das Piano fungiert hier zwar seinerseits als Melodieinstrument, aber auch mal rhythmisch, Bass und Schlagzeug ergänzend. Einen herausragenden Moment kreieren Piano und Schlagzeug in „Global Warning“, wenn der Rhythmiker den Pianisten – man mag das Wort nicht verwenden, aber – kongenial unterstützt.
Jenes Stück beginnt überdies mit einer Stilrichtung, die eher am Rande des Jazz zu finden ist, nämlich mit der Idee von einer Bigband, die hier zusammenkommt. Solche Ausbrüche in andere Gefilde finden sich hier häufiger, etwa der energetische Funk am Schluss von „Chromatisme crânien“. Dem Abschluss „High Life“ setzt die Band zudem den Clypso auf. Dieses Quintett kann einfach beides, schräg und konzertiert.
Vom Magnetic Orchestra auf der Bühne stehen hier Benoît Thévenot am Piano, François Gallix am Kontrabass und Nicolas Serret am Schlagzeug, dazu Julien Chignier mit Alt- und Bariton-Saxophon. Bandchef Michel Fernandez selbst spielt Sopran- und Tenor-Saxophone, also andere Klangfarben, und das ergibt das lebendige Zusammenspiel der beiden Blasinstrumentisten. Jener Fernandez ist seit Jahrzehnten in der Jazzszene unterwegs und veröffentlicht Musik unter anderem mit dem Trio Soledad, mit Dar-Jazz oder der Michel Fernandez Group.