Von Matthias Bosenick (28.11.2024)
Da hat sich dann doch etwas getan bei den New Yorkern Mercury Rev, seit die früheren Noiserocker und späteren Dreampopper um 2008 herum ihren Exklusivitätsbonus mit dem zerfahrenen, uninspirierten Doppel-Album „Snowflake Midnight/Strange Attractor“ verspielten. Da dauerte es sieben Jahre bis zum nächsten Versuch, mit dem zumindest ganz netten „The Light In You“ hatte man 2015 schon gar nicht mehr gerechnet. Abgesehen von der Cover-Platte „Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited“ ist „Born Horses“ nun das erste Studioalbum mit neuen eigenen Songs seitdem. Es scheint, als hätte sich die Band um Grasshopper und Jonathan Donahue ihrer selbst besonnen, denn obschon die Songs weitgehend verträumt erscheinen, sind sie keine Selbstkopie mehr, und außerdem finden Mercury Rev am Ende sogar das Uptempo wieder. Das ging gerade nochmal gut!
Wenn der Opener „Mood Swings“ gleich mal sieben Minuten lang ist und zu loungig-jazzigem Dreampop keinen Gesang, sondern Gewisper bietet, geht das schon mal gut los. Der Band gelingen Atmosphären, Stimmungen, Emotionen, indes anders als auf dem überraschenden Hit-Album „Deserter’s Songs“ aus dem Jahr 1998, nämlich reifer, zurückgelehnter, abgeklärter, kaum weniger experimentell. Es lässt sich gar nicht so recht eruieren, auf welcher instrumentalen Basis die wattigen Soundscapes entstanden sind, denen das Schlagzeug einen Rahmen gibt und die mit Piano, chilligen Bläsern und der Erzählstimme aufregende Konturen ausbilden.
Dezidiert zurück zum Gesang findet Donahue erst und beinahe ausschließlich im dritten Song „Your Hammer, My Heart“, wenn er sein Wispern singend unterbricht und damit den direkten Bogen der Erinnerung zurück an den Anfang der Neunziger schlägt, denn diesen Sound hatte seine Stimme schon damals, als „Chasing A Bee“, das noisig-verträumte Sieben-Minuten-Stück, als Über-Fünf-Minuten-Video auf MTV zu entdecken war. Ja, damals schon verträumt, indes verbuddelt im rauhen Geröll. Das räumten Mercury Rev ja vor 25 Jahren beiseite.
So kommt es auch, dass die ersten sieben Songs auf „Born Horses“ einer gemeinsamen Stimmung folgen und ineinander überzugehen scheinen: große Geste, Opulenz, Entspanntheit, Verträumtheit, dazu der raunende Märchenonkel. Das ist nicht schlimm und erweckt auch nicht den Eindruck von Langeweile, weil sich die Songs in Details ausdrücken, hier ein schwüles Saxophon, dort ein Chor, das Piano mit veränderter Aufgabe, Streicher, ein Gitarrenakkord, ein kurzer vulkanisch-gewittriger Ausbruch in „A Bird Of No Address“, ein satter Kontrabass; es passiert in den Songs mehr, als sie oberflächlich wahrnehmen lassen, und das macht jedes Wiederhören zum neuen Genuss.
Mit seinen eingestreuten Eruptionen bereitet „Everything I Though I Had Lost“ schon auf das Finale vor: „There’s Always Been A Bird In Me“ ist im Vergleich plötzlich urschnell, hat einen Achtziger-Wavepop-Anstrich und beschleunigt das bisherige Erscheinungsbild zu einem flotten, energetischen Rock-Pop-Stück. Ein charmanter Abschluss für ein charmantes Album. Und ja, Donahue hatte schon immer einen Vogel, zum Glück!