Von Guido Dörheide (19.05.2025)
Seit „Houdini“ aus dem Jahr 1993 bin ich ein erklärter Befürworter der Melvins, jener sludgigen Doom-Pioniere aus dem Staate Washington. Es gibt die Band seit irgendwie 1983 oder so, 1987 erschien ihr erstes Album und seitdem haben sie knapp 30 Veröffentlichungen herausgebracht, was sie nicht ganz zu den King Gizzard And The Lizard Wizard des Sludgedoompunkalternative macht, sie aber dennoch ganz nah da heranbringt.
„Thunderball“ wurde vom Melvins-Chef Buzz Osborne („King Buzzo“) und Schlagzeuger Mike Dillard eingespielt, somit handelt es sich hier um eine Aufnahme der ursprünglichen Melvins-Besetzung. Fehlen tut nur Bassist Matt Lukin, und Dillard wurde auch schon vor dem ersten Melvins-Album durch Dale Crover ersetzt, aber Original ist Original, da gibt es nichts. Eventuell hat Osborne hier auf Gillard zurückgegriffen, weil man bei Dale Crover immer befürchten muss, dass er sein Schlagzeug kaputt haut, was ja irgendwann auch ins Geld geht. Aber Wurscht, gute Schlagzeugarbeit leistet Gillard allemal.
Das Album ist kurz, nur gute 34 Minuten lang, und besteht aus 5 Songs. Wobei man den zweiten, mit „Vomit Of Clarity“ zugegebenermaßen originell betitelten Track trotz der beiden Gastmusiker (Ni Maîtres und Void Manes) auch getrost hätte weglassen können, da er nur ein sphärisch-überflüssiges Instrumentalzwischenspielintermezzo ist.
Aber warum mit dem zweiten Song anfangen, wenn es der erste nicht auch tut: Mit „King Of Rome“ beginnt das Album krachig und punkig, King Buzzo jagt seine Stimme durch einen Verzerrer (warum eigentlich?) und – leider – die Drums dringen nicht richtig durch. Säße hier Dale Crover am Schlagzeug, spielte er vermutlich kaum anders als Mike Dillard, er hätte aber sicherlich produktionstechnisch durchgesetzt, dass es krachte und donnerte, wie es sich für den typischen Melvins-Sound – der hier fehlt, weil zu dünn – gehört.
Danach, wie gesagt, die überflüssige Überleitung mit dem genialen Titel und dann – „Short Hair With A Wig“. Ein Elfminutenmelvinsopus vom Allerfeinsten. Quietschen und ein toller Bass leiten den Song ein – dann Buzzos Gitarre. Doooom vom Allerfeinsten, repetitiv und irgendwie wieder doch nicht, simpel und virtuos gleichermaßen. Sowas kann wirklich nur King Buzzo, allen anderen Gitarristen würde man ihr Können absprechen und ehrlich, Leute: Die könnten sowas auch nicht. Das Schlagzeug könnte auch hier mehr draufhauen, ist aber schon besser als beim ersten Stück. Dennoch: Beim nächsten Album wieder Dale Crover, oder? Ich habe den 1994 mal live gesehen: Er schwebt das ganze Konzert lang ca. 30 cm über seinem Drum-Hocker und haut auf die Trommeln, während die Haare die ganze Zeit senkrecht nach oben vom Kopf abstehen, weil er sich so schnell bewegt. Sooo muss Schlagzeug. Aber das nur am Rande. Also „Short Hair With A Wig“ ist ganz großes Melvins: Langsam, hart, mit Buzzos Stimme wie man sie sich wünscht, sowas Schöönes!
„Victory Of The Pyramids“ beginnt dann mit sehr aktiver und vor allem melodiöser Gitarre, Technik mit Schmackes oder wie auch immer DKW das in der 80ern formulierte, man kann sich gar nicht satt hören, dann auf einmal Bassgedengel und Buzzo beginnt zu singen, als müsste er den Punk neu erfinden. Super! Und dabei sind noch nicht mal drei Minuten des Songs verstrichen. Weshalb wohl auch bei kurz vor dreieinhalb Minuten ein ruhiges Intermezzo mit Schlagzeug und zunächst nur Bass, dann wieder auch superschöner Gitarre einsetzt. Irgendwann singt Buzzo dann auch wieder, und zwar mit einer Vehemenz, dass es die Blecherness von „King Of Rome“ nun endgültig vergessen macht. Buzz Osborne besitzt – so er denn will – eine Stimmgewaltigkeit, die es locker mit Messiah Marcolin oder sagen wir ruhig mal auch Karel Gott aufnehmen kann. Der Song mäandert gegen Ende krachig und experimentell vor sich hin und ist wirklich ganz große Klasse. Das das Album beschließende „Venus Blood“ ist mit 8:10 Minuten kaum kürzer und auch kaum schlechter. Schlagzeug (so langsam wird es mit dem Sound!) und Bass beginnen sehr schön groovend, dann setzt die Gitarre ein – sehr hell und recht hart das Bassriff aufgreifend – und dann King Buzzo gefühlt vierstimmig – der Typ singt auf seine alten Tage (61 Jahre ist er alt, Stand heute) noch alles an die Wand, was es an die Wand zu singen gilt.
Fazit also: Die Melvins erfinden mit „Thunderball“ weder das Fahrrad neu noch enttäuschen sie auf irgendeine Weise. Aber dass eine Band, die mich vor 32 Jahren mit „Houdini“ so dermaßen begeistert hat, mich heute immer noch so mächtig gewaltig hinter dem Ofen hervorzulocken imstande ist, das begeistert mich. Und dabei besitze ich nicht mal einen Ofen!