Von Matthias Bosenick (15.04.2024)
Die ersten paar Sekunden des Openers sind noch so, wie man sie sich erhofft: ein Breakbeat der hektisch groovenden Marke Meat Beat Manifesto mit ordentlich Schlagseite. Doch dann schlägt Merzbow zu und macht aus dem ganzen Album, das physisch überdies nur aus zwei Tracks besteht, einen Shred. Experimental Noise, sagt das temporäre Duo dazu, ja, kann man so gelten lassen – „Extinct“ wirft die altbekannte Ignoranz-Floskel „Ist das noch Musik?“ in den Gartenhäcksler. Und danach in die Autopresse. Und danach in den Küchenmixer. Und danach in den Dokumentenvernichter. Und danach auf Onkel Titus‘ Kreissäge. Zwar zieht sich tatsächlich ein Takt durch das Album, aber hörbar ist es nur bedingt. Free Jazz ist dagegen Kinderkarussell, Autechre schöner Radiopop. Haben muss man „Extinct“ als MBM-Sammler natürlich trotzdem.
Nein, das Gerät ist nicht kaputt, das soll so. Also, alle Geräte, auch wenn die Musik, die Akita Masami (秋田 昌美) alias Merzbow (メルツバウ, angelehnt an Kurt Schwitters‘ Merzbau) aus ihnen herausholt, so klingt also ob. Nix lässt er heile, alles zerschrotet er, auf Hörbarkeit oder Zugänglichkeit hat er keinen Bock. Jack Dangers schon, deshalb lässt er sich erstmals nach dem „God O.D. – Parts 2“-Remix, den der Japaner 2003 für den Briten und dessen „Storm The Studio R.M.X.S.“-Album anfertigte, auf ein gemeinsames Projekt ein. Und das klingt mehr nach Merzbow als nach MBM, obschon auch Dangers dem Jazz sehr zugeiengt ist: Die wenigen erkennbaren Drumsounds machen aus „Extinct“ noch keine tanzbare Musik, Masami weiß schon, wie er zerstört und auf den Trümmern metallene Verästelungen und harschdorniges Gestrüpp wuchern lassen kann.
Aus Dangers‘ Beats erwachsen Glitches, die Masami zu unbequemen, hektischen Flächen drillt. Wie ein viel zu schneller Puls kreischt der erste Track, „¡FLAKKA!“ geheißen, auf einem minimalen rudimentär erkennbaren komplett geschredderten Rhythmus, über dem Fiepen, Flirren, Noises, Rauschen und Dröhnen liegen. Gelegentlich lässt Merzbow eine Ahnung von MBMs Breakbeat durchscheinen, wie beim Blick in eine Mischung aus Geysir und Vulkan, wenn man von oben betrachtet die vertraute Welt dabei beobachten kann, wie sie in Trümmer gelegt wird. Wie zum Hohn gibt’s den Track in der Download-Variante des Albums als Bonus im „Radio Edit“. Der Hohn verdoppelt sich, weil der Vierminüter sowohl auf CD als auch auf Vinyl noch Platz gehabt hätte, bei zusammen nur 36 Minuten Musik. Noch mehr Hohn: Der Edit fokussiert die MBM-Anteile mehr als die 20-minütige Langversion und ist tatsächlich beinahe so etwas wie tanzbar. „Flakka“ ist der Name für alpha-Pyrrolidinopentiophenon, eine auch als Flex oder Peevee gehandelte synthetische Droge; auch ohne die Konsumerfahrung könnte man annehmen, der danach benannte Track klinge, als hätte man sie genommen.
Das viertelstündige „Burner“ dockt an Oldschool-Rhythm-And-Noise an, man hört die rhythmischen Industrial-Sounds von etwa Dive oder Sonar heraus. Dabei bleibt es natürlich nicht, Merzbow hat noch ausreichend zerstörerisches Potential, um hier extragroße Metallteile aneinanderschaben zu lassen, Bomben zu zünden, die Kontrolle über ein Dutzend Laserkanonen zu verlieren, Industrierobotern beim Schweißen zuzugucken und einen Dokumentarfilm über afrikanische Raubtiere verlangsamt und auf voller Lautstärke zu gucken. Der Track ist abwechslungsreicher als der erste, durchaus.
Was haben wir hier also: Anarchie, freie Kunst, noch freieren Jazz, Unangepasstheit, einen Fick für Erwartungen und Bock auf Zerstörung. Und Leute, die sich das Ergebnis dann auch noch kaufen. Gern geschehen! Steht im Regal ab sofort neben „She“ von Maldoror, dem gemeinsamen Projekt von Merzbow und Mike Patton aus dem Jahr 1999, das man noch weniger hören kann als „Extinct“.