Mazut – Dirt Collector – Positive Regression/Rope Worm 2025

Von Matthias Bosenick (14.07.2025)

„Dirt Collector“ ist eine retrofuturistische Grenzsprengung: Auf diesem ersten Album nach vier Jahren Pause kombiniert das Duo Mazut aus Warschau Industrial, EBM, Acid und Techno früherer Epochen zu etwas Zukunftsweisendem. Auch mit gelegentlichen treibenden Uptempo-Nummern ist die Grundstimmung auf diesem Album eher düster, bisweilen angenehm bedrohlich, unkomfortabel. Zu entdecken gibt es eine Menge: Wie etwa klängen DAF auf Acid?

Das Dunkle liegt eigentlich allen Tracks inne, egal, wie sie ausgerichtet sind. Zu Beginn ist dies im Dark Ambient angesiedelt, mit leichten Industrial-Anleihen. Hier setzen Mazut erstmals Sprachsamples ein, teilweise für sich stehend, teilweise rhythmisch geloopt. So vergehen zehn Minuten mit „The Original Sound“ und „Ear“, in denen man sich darauf einstimmt, elektronisch in den Abgrund gerissen zu werden, nur um dann mit dem dritten Track „Paranoid Park“ plötzlich den Dancefloor ausgeleuchtet zu bekommen. Der Track hat eine Acid-Grundierung, mit typischen Effekten aus der Zeit Ende der Achtziger, als der Roland TB-303 Lysergsäure in Musik transformierte. Der Beat indes ist krasser als damals.

So setzt es sich fort, mit Sounds und Effekten, die man Epochen oder Bands zuordnen kann, die hier aber in ihrem Kontext erweitert werden. „Casualties Union“ ist so etwas wie Downbeat-Industrial und erinnert an die experimentellen Front Line Assembly der frühen Achtziger. „The Fountain Of Negativity“ ist rhythmischer Ritual-Noise, nur ohne fette Beats, und lässt denken an „Gottes Tod“ von Das Ich oder Bands wie Yeht Mae und die alten X Marks The Pedwalk. Dafür sind die Beats im wundervoll betitelten „You Try To Make People Upset, But Nobody Gives A Fuck“ umso fetter: Dieser Techno-Track ist in mittlerem Tempo gehalten, hat ein eingebautes Sprach-Loop, das sirenenartig an den Nerven kratzt, dazu heftige, krasse Sounds sowie Elemente aus dem Techno und überträgt Energie, vergleichbar mit Numb.

„Jetzt geht mir ein Licht auf“ ist ebenfalls wundervoll betitelt und trumpft mit einem voluminösen Synthie in diesem tanzbaren EBM-Track auf. „Slow Cancelation Of The Future“ beginnt als Industrial und bekommt den typischen Future-Pop-Rhythmus, also den elektronischen Glamrock. Der Track hat eine schräge Atmosphäre und entwickelt ein angenehmes Unwohlsein, außerdem ist er nach „Shrouded In Obscurity“ der zweite mit Schlagzeuger Daniel Szwed von der Band Woody Alien als Gast. „Force And Form“ endlich stellt sich dar wie DAF auf Acid, ein amtlich donnernder EBM-Brecher, dessen Sounds eben einem anderen Genre entnommen sind. Der Titeltrack ist bedrohlich, ungemütlich, repetitiv und kehrt zurück zum Dark Ambient. Der letzte Track „Eye“ endet dann, wie das Album begann, mit Samples und Dunkelheit.

Als Begleiter entsenden Mazut die „Dirty Collector EP“ mit zwei Album-Tracks in „Sped Up Lo-Fi Version“. Aus „Paranoid Park“ wird auf diese Weise ein richtig geiler Techno-EBM, aus „Ear“ eine Art Speed-Ambient. Seit 2010 betreiben Paweł Starzec und Michał Turowski Mazut, von Anfang an als Retro-Electro-Projekt aufgefasst, laut Info inspiriert von Achtziger-Helden wie Cabaret Voltaire oder Severed Heads. Das sinnig betitelte Debüt-Album „#1“ erschien 2015, nach der EP „Sarajevo“ mit dem grandiosen Cover war 2021 vorerst Schluss. „Dirt Collector“ dürfte das siebte Album sein und die „Dirty Collector EP“ die ungefähr zwölfte Single. Und weil das nicht ausreicht, treten die beiden parallel noch als Dignidad und Mazutti in Erscheinung, als letztere mit Maciej Moruś. Ganz abgesehen von weiteren Nebenstandbeinen, die beide noch so haben.