Von Matthias Bosenick (20.12.2024)
Das sind zwei geile Clubtracks, die Mauvais Sang hier auf ihrer „La Flore EP“ auf die Tanzflure brettern. Zumindest die erste Hälfte erinnert an die Bretterknaller von Vive la Fête, Krawall-Electro kombiniert mit Krawall-Gitarren, also eher Kunst-Punk als Industrial-Metal, aggressiv und gutgelaunt, einfallsreich und schubladenlos. Die zweite Hälfte ist dafür komplett anders: Die zwei letzten Tracks gehen ins Balladeske, nicht ohne verrückte Einfälle, die das international verstreute Sextett hier einbaut.
Die beiden Vorab-Singles dieser EP – kurios genug – knallen sowas von mächtig rein: Das flottere „Modèle“ zerrt die Hörenden direkt auf die Tanzfläche, mit Electrobeats und E-Gitarre nach Art des Electroclash, wie er vor 20 Jahren aufkam und wie ihn seitdem kaum noch jemand praktiziert. Dem Sextett gelingt es, diesen Sound zukunftsgewandt zu reanimieren: Die Kickdrum kickt, dazu sondert eine Gitarre minimalistisch-monotone hohe Sounds ab, während man männliche und weibliche Stimmen miteinander leise kommunizieren hört. Dann bricht der Track los, alle Instrumente auf volle Power, eine verfremdete Snare strukturiert den Beat und alles schreit. Nur kurz, dann fällt alles wieder auf den kargen Sound des Intros zurück, baut sich aber langsam wieder in Richtung Ausbruch auf. Mit vierzehnsekündigem Harfen-Intermezzo vor der nächsten Explosion. Alter!!!
Für „Seine“ fahren Mauvais Sang das Tempo herunter, denn dieser Track lädt zum gemütlichen Headbangen ein. Ein dezentes Riff lässt ahnen, was kommen mag, bis einige Streicher die Spannung abfedern – und die Band dann abrupt losmörtelt. Auch hier wechselt die Band die Intensität zwischen Strophe und Refrain, mit Spannungsschwankungen und Dropbeats. Enorm intensiv.
Und dann der Bruch: „Sibylle“ ist ein minimalistisches Liebeslied, von Ambient-Sounds und Harfe getragen, eine beinahe sakrale Ballade, die den Hauch klassischer Chansons mit sich bringt. Die Harfe bleibt auch im finalen „Nuit venin“ die Grundlage, doch versetzen Mauvais Sang den Track mit Kreischgeräuschen und generieren so eine Art Industrial-Ballade zu langsamen Beats. Gegen Ende kracht der Track nochmal bratzig los und läuft dann mit Streichern aus. Ein interessanter Kontrast, den das Sextett hier nicht nur innerhalb der Tracks, sondern auch verteilt auf die gesamte EP kreiert.
„La Flore“ ist der Nachfolger zum Album „Des Corps dans le Décor“ aus dem Jahr 2022 und der Vorbote zum Kontrapunkt „La Faune“, der 2025 erscheinen soll. Ursprünglich kommt die Band aus den französischen Hochalpen, ist mittlerweile aber über halb Europa verstreut. Kern des Ganzen sind Sänger Léo Simond und Gitarrist Mathis Saunier, um die sich die anderen sammeln: Harfenistin Marion Pozderec, Keyboarder Mathieu Vasey, Bassist Valérian Burki und Schlagzeuger Antoine Vercellotti. Der Name Mauvais Sang – Böses Blut – ist bedauerlicherweise nicht so selten, aber mit dieser Musik sticht die Band alle anderen aus. Auch viele, die noch ganz anders heißen.